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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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helfen?«
    Der Russe wirkte für einen Moment bestürzt. »Helfe ich dir nicht?«, fragte er. »Ich bringe Neuigkeiten von der anderen Seite.«
    »Was für Neuigkeiten?«
    »Wie sich die verlorenen Seelen finden, wie sie sich organisieren. Es ist beinahe«, er überlegte einen Moment, »menschlich.«
    »Bleib bei uns, treib dich nicht mit den Verlorenen herum. Hilf mir, die Kinder zu beschützen«, sagte Calder.
    Rasputin schien über diese Bitte nachzudenken.
    »Liebst du deine neuen Freunde mehr als den Jungen, dessen Leben du angeblich gerettet hast?«, fragte Calder herausfordernd.
    »Du hast mich getroffen«, antwortete Rasputin. Das sollte Calder eigentlich beruhigen, doch der Ton des Russen verriet seine Unaufrichtigkeit. »Und das, nachdem ich so viele schmeichelhafte Geschichten über dich erzählt habe.«
    »Was für Geschichten?«, fragte Calder alarmiert.
    »Wie du rückwärts aus dem Himmel gerannt bist, dass du meine fleischliche Hülle trägst und von deinem magischen Schlüssel.«
    Bevor Calder noch weitere Fragen stellen konnte, verschwand Rasputin wie eine Rauchwolke.
    * * *
    Endlich fand der Seelenhüter Ana und Alexis, wie sie zwei Männern zusahen, die einen Faustkampf probten.
    »Wo wart ihr?«, fragte er. Ana war blass und unruhig.
    »Wo warst
du?
«, gab Alexis die Frage zurück.
    Da wurde Calder bewusst, dass er eigentlich Wasser für Ana hatte holen wollen und nun mit leeren Händen zurückkam. »Wir müssen unbedingt Ilja finden«, sagte er.
    Sie kehrten zu der Straße zurück und folgten der Karte, die man ihnen gezeichnet hatte. Sie gingen an einer Kneipe vorbei, einer Tankstelle, einer Billardhalle und kamen schließlich zu einem langgestreckten einstöckigen Gebäude, auf dessen schrägem Dach
Hank’s Town
stand. In dem Büro mit der Aufschrift »Management« erklärte ihnen die Frau hinterm Tresen, die »russischen Jungs« seien auf Zimmer neun.
    Die Tür mit der aufgemalten Neun stand offen, jemand hatte eine Zeitung daruntergeschoben. Der Raum war spartanisch eingerichtet – ein Tisch und ein Stuhl neben einem zerwühlten Bett, ein Feldbett, das aufrecht an der Wand lehnte, ein offener, halbausgepackter Koffer. Außerdem ein Stapel großer, gerahmter Leinwände, von denen die oberste wie eine Gartenmauer bemalt war, mit allen Details, jedem Riss in einem Stein, jeder Weinranke, jedem Schatten. Selbst eine der Zimmerwände zierte ein Gemälde. Jemand hatte mit Kohle eine Landschaft skizziert, eine wunderschöne, traurige Fläche voller Hügel und Wälder, Wiesen und Teiche.
    Ein junger Mann in zerknitterten Hosen und Unterhemd saß rauchend auf dem Bett, einen Fuß auf dem Boden, das andere Bein auf den schmuddeligen Laken ausgestreckt. Calder erkannte ihn erst, als er sich zur Tür umdrehte. Es war der junge Wachmann aus dem Haus zur besonderen Verwendung, der in den Hof gestolpert war und sich dort übergeben hatte, während das Licht der Seelenhüter noch den Raum hinter ihm erhellt hatte. Das Kinn mit dem Grübchen zierte nun ein Bart, und er war nur halb angezogen, doch es waren dieselben Augen, mit den traurig geschwungenen Brauen, und die Locke, die ihm in die Stirn hing. Ilja zuckte vor Überraschung zusammen, und die brennende Zigarette fiel auf den Boden.
    »Heilige Mutter Gottes«, flüsterte er auf Russisch. Er biss die Zähne zusammen und ließ eine Hand unter das Kissen gleiten. Bevor Ana auch nur ein Wort gesagt hatte, zielte er mit einer kleinen silbernen Pistole auf ihr Herz. Auch wenn Calder wusste, dass ihr dies nichts anhaben konnte, trat er vor, um sie zu beschützen. Ana drängte sich jedoch an ihm vorbei zu dem Bett und umarmte Ilja.
    »Ich bin es«, sagte sie lachend. »Ich bin kein Geist.«
    »Was ist das für eine Hexerei?« Er schob sie von sich weg, mit weitoffenen, unerbittlichen Augen.
    Schmerz zuckte über Anas Gesicht, doch dann lächelte sie und sagte: »Dieselbe Magie, die ich dir gegeben habe.« Als er sich von ihr abwandte, trat sie einen Schritt zurück. »Warum bist du so schnell von daheim weggegangen?«
    »Ich muss träumen«, sagte Ilja wie zu sich selbst. Er legte die Pistole auf das Kopfkissen, dann sah er blinzelnd zu Alexis. »Ich habe euch beide doch sterben sehen.«
    »Es tut mir leid, dass ich in dem Brief nicht erklären konnte …« Ana unterbrach sich mitten im Satz, als sie merkte, dass sich die Bettdecke neben ihm bewegte.
    Iljas Lippen formten ein stummes Gebet. Eine junge Frau mit kastanienbraunem Haar setzte sich auf und

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