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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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trug ein weißes Kleid mit Rüschen und Ballettschuhe, und als sie die Hand zum Mund führte, sah Calder die Zigarette zwischen ihren Fingern. Sie zog daran und blies den Rauch zur Seite.
    »Spielst du gerade in einem Bibelfilm mit?«, fragte sie. Als er nicht antwortete, bohrte sie weiter: »Harem? Western?« Sie deutete auf seinen Bart.
    Calder berührte seinen Backenbart und verstand endlich. Die beiden hielten ihn für einen Schauspieler, den sie zwar erkannten, aber noch nie persönlich getroffen hatten. »Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet«, sagte er.
    Wenn er die Situation richtig erfasste, hatten diese Schauspieler Filme gesehen, die die Absetzung der Romanows und Rasputins Rolle darin thematisierten. Die Vorstellung bereitete ihm Übelkeit.
    »Tut mir leid, Kumpel«, sagte der Mann und legte sich wieder auf den Boden, die Arme hinterm Kopf verschränkt.
    Da drückte ein heißer, trockener Windstoß, der nach verbranntem Stroh und reifen Orangen roch, die Bühnentür weiter auf. In der Öffnung erschienen ein Strand mit weißem Sand, das Meer und ein blauer Himmel auf einer riesigen Leinwand. Die Szenerie wirkte so real, dass er meinte, die Wasseroberfläche kräusele sich. Als die Tür wieder ins Schloss fiel, sah er zwei Männer, einer mit einer Kapitänsmütze, der andere in einem Kilt, die auf einer Kiste saßen und Sandwiches aßen. Beide blickten Calder für einen eigenartigen Moment in die Augen.
    Der ganze Ort erschien auf einmal nicht mehr vertrauenswürdig, als ob hinter jeder Ecke Menschen und Dinge warteten, die nicht das waren, was sie vorgaben zu sein, als ob überall Botschaften versteckt wären, die Calder nicht entschlüsseln konnte. Umstände, in denen er eigentlich die Führung übernehmen sollte, die er jedoch nicht erkannte.
    Das Wasser hatte er völlig vergessen, und als er zurückkam, saß Ana nicht mehr dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Er nahm seinen Mantel und ihren Hut, der auf dem Boden lag, und rannte panisch zwischen Hütten und Fremden hindurch auf der Suche nach den Kindern.
    Calder lief erst an einer Schauspielerin vorbei, die gerade unter der Anleitung des Regisseurs eine Szene einübte, dann an einer Frau, die auf einer Obstkiste saß und einer Kinderpuppe neue Augen malte. Er ging durch eine mittelalterliche Burg aus dicken Holzwänden und Gips und traf dort auf einen jungen Mann, der sich in einem Segeltuchstuhl ausruhte, die Füße auf einen Koffer aufgestützt, auf der Brust ein aufgeschlagenes Drehbuch.
    Calder hätte dem Mann kaum Beachtung geschenkt, wenn er den Arm nicht gehoben hätte. Es hatte nämlich den Anschein, als würde ein unsichtbarer Puppenspieler ihm das Handgelenk nach oben ziehen. Der Zeigefinger des Mannes deutete nachdrücklich auf Calder, während er weiterhin zu schlafen schien. Der Seelenhüter fürchtete verärgert, Rasputin habe mal wieder die Finger im Spiel. Als er an dem Ruhenden vorbeiging, folgte ihm die Hand, um schließlich mit den Fingern zu schnippen, als ob sie ihm herzukommen befehle. Als Nächstes packte die Hand die hölzerne Armlehne des Stuhls, woraufhin sich der Kopf hob und sich mit geschlossenen Augen in Calders Richtung drehte.
    »Grigori«, flüsterte Calder. »Hör sofort damit auf.«
    Die Augen klappten auf, und die Lippen öffneten sich auf äußerst unnatürliche Weise. »Ich bin nicht Grigori«, sagte der Kopf mit einer Stimme, die unmöglich dem schlafenden Mann gehören konnte. Sie sprach Spanisch und war rauh wie die eines alten Mannes. »Komm hierher, mein Kind«, sagte sie zu Calder. »Gib mir deine Hand, ich habe meinen Gehstock verloren.«
    Calder blieb stehen. Sehr zum Ärger der verlorenen Seele, die ihn da gerade bedrängte. Kopf und linke Hand schienen die einzigen Körperteile zu sein, die die Seele kontrollieren konnte. Die linke Hand umklammerte die Armlehne, und der Kopf versuchte sich wie eine Viper auf Calder zu stürzen. Der Körper fiel aus dem Stuhl, woraufhin der junge Mann mit einem überraschten Aufschrei aufwachte, aufstand und sich den Staub abklopfte, als ob er aus einem beunruhigenden Traum erwacht wäre.
    Calder stürmte davon, doch eine Stimme in seinem Ohr ließ ihn innehalten.
    »Die anderen sind nicht sonderlich gut darin, sich fremder Körper zu bemächtigen«, sagte Rasputin. »Bis jetzt jedenfalls.« Er ragte mit Gesicht, Knie und Stiefelspitzen halb aus einem Baum heraus.
    Da niemand in der Nähe war, der sie belauschen konnte, sagte Calder laut: »Kannst du uns nicht

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