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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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geschehen«, antwortete Calder.
    »Sehe ich dich so, wie ich dich jetzt sehe, weil ich es so möchte?«, fragte Ana.
    Sie blickte auf eine Art und Weise zu ihm auf, die ihn unangemessen glücklich machte. »Ich glaube, du siehst mich in meiner menschlichen Form«, sagte Calder. »Ich habe neunzehn Jahre lang in London gelebt.«
    »Vielleicht hat dich einer unserer Verwandten gesehen«, sagte Alexis, dem diese Vorstellung zu gefallen schien.
    »Nur wenn es jemand sehr Altes war«, sagte Calder. »Ich bin 1555 geboren.«
    »Wirklich?« Eine Reihe vollkommen neuartiger Fragen formte sich im Kopf des Jungen. »Wieso sprichst du dann nicht, als ob du aus dem sechzehnten Jahrhundert wärst?«
    Aus irgendeinem Grund war Calder beleidigt. »Warum sprichst du nicht wie damals, als du ein Jahr alt warst?« Sofort bereute er den scharfen Ton, doch Alexis grinste. »Sprache ist kein Hinderungsgrund«, sagte Calder. »Ein Begleiter kann jede Sprache zu jeder Zeit sprechen.«
    »Wenn du also zu einem sterbenden Dieb in einem Saloon geschickt würdest, dann würdest du unflätig mit ihm reden?« Alexis lachte.
    »Keine Sprache ist auf unflätige Ausdrücke angewiesen«, sagte Calder. »Und niemand auf Höflichkeit.«
    »Sag etwas auf Aramäisch«, forderte Alexis, ganz der bestimmende Zarewitsch.
    »Um dich zu erheitern?«, sagte Calder wie gewünscht auf Aramäisch. Dann wechselte er ins Russische: »Ich spreche so zu einem Menschen, wie es für ihn am natürlichsten ist. Die Sprache kommt von der Seele, die ich begleite.«
    »Das ist interessant«, bemerkte Alexis.
    »Spreche ich gut genug?«, fragte Calder. »Passe ich zu euch?«
    Ein zweifelnder Ausdruck huschte über das Gesicht des Jungen, dann nickte er. »Du gehst als Mensch durch.«
    »Wir sind jetzt unsterblich, nicht wahr?«, sagte Ana. »Warum können wir kein Aramäisch?«
    »Wenn ihr im Himmel seid, werdet ihr alle Sprachen beherrschen, die ihr wollt«, erklärte Calder.
    »Du sagst, eine Seele entscheidet sich für Leben oder Tod«, bemerkte Alexis. »Könnte sich jemand, dem der Kopf abgeschlagen wurde, etwa auch für das Leben entscheiden?« Er wirkte mindestens so angewidert wie aufgeregt.
    »Keine Seele hat sich bisher dafür entschieden, in einem nicht lebenswerten Körper zu bleiben.«
    »Ich würde das tun«, sagte Alexis und fügte, als er die Bestürzung auf dem Gesicht seiner Schwester sah, schnell hinzu: »Vielleicht nur für eine Nacht.«
    »Es wäre so, als wollte sich ein Vogel auf den Zweig eines Baumes setzen, der zuvor gefällt und zu Feuerholz verarbeitet worden ist«, sagte Calder. »Schwierig und sinnlos.«
    »Ist der Garten der letzte Raum auf der Passage?«, fragte Ana.
    Die Passage war ein geheimer Ort. Nur die Toten, die darübergingen, die Seelenhüter, die dort arbeiteten, und Gott, der alles erschaffen hatte, wussten von der Zelle. Doch Ana und Alexis hatten den Schlüssel bekommen, weshalb Calder entschied, dass er ihnen davon erzählen konnte, ohne das Geheimnis zu verraten.
    Sie blieben an einer überfüllten Treppe stehen, die zu einer geschlossenen Luke führte.
    »Ist es etwas Schreckliches?«, fragte Ana.
    »Etwas, das man bekämpfen muss? Ein Drache?«, fragte Alexis eifrig.
    »Es ist eine Zelle«, erwiderte Calder. »Wie in einem Gefängnis.«
    Ana wirkte entsetzt. »Die Seele wird ins Gefängnis geworfen?«
    »Nein. Die Seele findet eine Zelle mit einem Gefangenen vor, dem sie vergeben muss. Erst wenn sie erkennt, dass der Gefangene sie selbst ist, öffnen sich die Türen.«
    Ana und Alexis blickten von ihm zu der geschlossenen Tür am Fuß der Treppe. Für einen faszinierenden Moment dachte Calder, die Zelle sei mit einem Zauberspruch belegt, so dass niemand es hörte, wenn man ihr Geheimnis verriet.
    »Drachen wären spannender«, meinte Alexis schließlich ungerührt.
    * * *
    Der Hafen von San Pedro in der Nähe von Los Angeles bestand aus Metall und Beton. Nackte, rechteckige Gebäude standen nahe beieinander, als hätte die Welt ihre hässlichsten Häuser und Schiffe an diesem Strand versammelt.
    Als sie die Gangway hinuntergingen, sah Calder, wie die Passagiere erst ihre Papiere vorzeigen und dann auf einem eingezäunten Hof auf ihr Gepäck warten mussten. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass russische Rubel hier nicht ausreichten. Eigentlich hatte er noch einmal die bewährte Geschichte von den verbrannten Pässen erzählen wollen, doch als sie endlich am Einwanderungsschalter angelangt waren, war er so nervös, dass er

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