Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
»Sie ist von der Brücke gesprungen, weil sie alles nicht mehr ertragen hat.«
»Tenstaage hat sie auf dem Gewissen«, brüllte Christensen wieder. Er war aufgesprungen und hatte die Fäuste geballt, als wollte er jeden Moment zuschlagen.
Suna blickte zu ihm auf. Es war gut, wenn er laut wurde. Nur durfte sie ihn nicht so sehr reizen, dass er total ausrastete.
»Hat Saskia deshalb mit seinem Partner Paul Sheridan eine Affäre angefangen, um Tenstaage besser ausspionieren zu können? Ist sie wirklich so weit gegangen?« Als er nicht antwortete, flüsterte sie: »Wie konnten Sie das zulassen?«
»Saskia sollte ihn leiden sehen, nur das war wichtig«, gab Christensen kalt zurück. »Ich habe es gesehen, als ihr Vater krank wurde. Er ist langsam am Krebs krepiert und je dreckiger es ihm ging, umso mehr ist Saskia aufgeblüht. Sie hat jede Sekunde genossen, die sie mit ihm verbracht hat, aber nicht, weil sie ihn so sehr mochte. Er hat einfach nur bekommen, was er verdient hat. Und Tenstaage sollte es genauso gehen.«
Suna beobachtete, dass Linda das Gespräch inzwischen aufmerksam zu verfolgen versuchte. Immer wieder flatterten zwar ihre Lider und sie zog die Augenbrauen zusammen, weil es sie so anstrengte, sich zu konzentrieren. Doch den größten Teil dessen, was gesagt wurde, schien sie zu verstehen.
Suna ließ nicht locker. Einerseits wollte sie Zeit gewinnen, aber andererseits wollte sie jetzt auch alles wissen, wollte erfahren, ob sie mit ihrer Theorie richtig lag. »Ich nehme an, Susanne Baudelhoff sollte auch leiden, als Sie sie erpresst haben? Sie arbeitete damals noch nicht in der JVA, sondern für das Jugendamt, richtig? Und sie war dafür zuständig, die Tenstaages zu kontrollieren.«
»Was sie aber nicht getan hat«, fuhr Christensen auf. »Sie hat zugegeben, dass sie die Tenstaages damals privat gut kannte. Deshalb hat sie nur nachgefragt, ob es den Kindern gut geht, anstatt sich selbst davon zu überzeugen. Sie hat völlig versagt. Die Exfrau von Tenstaage konnten wir nicht mehr zur Rechenschaft ziehen, obwohl ich mir sicher bin, dass sie davon wusste. Sie muss etwas mitbekommen haben, aber sie hat einfach den Mund gehalten. Leider hat sie sich mit ihrem neuen Lover nach Bali abgesetzt. Aber die Baudelhoff sollte zahlen.«
»Genauso wie Gerhard Kannhausen«, nickte Suna. »Ich habe seinen Namen auch in den Unterlagen gelesen. Er war damals der Richter, der die Unterbringung von Saskia und Linda in der Pflegefamilie angeordnet hat.«
»Er war genauso schuld wie die anderen«, zischte Christensen.
Suna drückte beide Hände an ihre pochenden Schläfen und presste die Lippen aufeinander. Sie dachte daran, wie sie Irene Vossen ihn ihrer Garage gefunden hatte. War das wirklich erst vier Tage her? Inzwischen war so viel passiert, dass es ihr viel länger vorkam.
»Und was war mit Saskias und Lindas Mutter?«, fragte sie mit belegter Stimme. »Hat sie sich wirklich das Leben genommen, oder waren Sie daran auch beteiligt?«
Christensen sah kurz zu Linda hinüber, die ihren Schwager aus weit aufgerissenen Augen ansah. »Jörn ...«, stammelte sie, doch er beachtete sie gar nicht weiter. Seine komplette Aufmerksamkeit galt Suna.
»Sie war doch eigentlich die Schuldige. Sie hätte einfach nur eine richtige Mutter sein müssen. Richtige Mütter kümmern sich um ihre Kinder. Sie lassen nicht zu, dass man sie ihnen wegnimmt. Aber Irene war der Alkohol ja wichtiger als ihre Familie.« Er lachte noch einmal auf, aber gleichzeitig lief ihm eine Träne über das Gesicht. Mit dem Handrücken wischte er sie weg.
Als er weitersprach, klang seine Stimme allerdings völlig kalt und gefühllos. »Der Alkohol war das wichtigste in ihrem Leben, also habe ich ihr welchen mitgebracht. Ich bin zu ihr gefahren und habe behauptet, ich wolle mit ihr über Saskia sprechen. Sie hätte untröstlich sein müssen darüber, was mit ihrer Tochter passiert ist, aber das sie mal wieder kaum interessiert. Stattdessen hat sie nur gejammert, wie schlecht es ihr doch geht. Regelrecht gebadet hat sie in ihrem Selbstmitleid. Es war widerlich. In ihrem Zustand war es nicht schwierig, sie zum Trinken zu bringen. Es hat gereicht, die Flasche auf den Tisch zu stellen und ihr ein paar Vorwürfe zu machen. Schon ist sie schwach geworden und hat zugegriffen. Und als sie erst mal angefangen hatte, war sie kaum noch zu bremsen. Sie hatte ja keine Ahnung, dass ich ihr ein Schlafmittel ins Glas gegeben hatte. Der Rest war ein
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