Seelenkuss / Roman
vor, wobei er sich bewegte wie ein Viermaster mit vollen Segeln, der die Wogen durchschnitt. Das Bild passte, denn in seinen Topas-Augen spiegelte sich tatsächlich etwas von einem Marodeur.
Miru-kai gab sich Mühe, seine Verachtung nicht zu zeigen. Prinz und Vampir blieben in einer höflichen Distanz stehen und verneigten sich.
»Ich, Belenos, Herrscher über das Vampirkönigreich des Ostens, bringe dir deinen Lohn.«
Er hielt einen gelben Edelstein, nicht größer als ein Pfefferkorn, eingefasst von einer Goldklaue.
»Ich, Miru-kai, Prinz der Dunkelfeen, nehme den Lohn an.«
Miru-kai streckte seine Hand aus, in die Belenos den Edelstein fallen ließ. Sofort schloss der Prinz seine Finger um das kleine Objekt und fühlte dessen Macht – Feenmagie, die Feenmagie rief. Er würde einige Zeit brauchen, um die Geheimnisse des Steins zu ergründen, doch mit ihm eröffnete sich eine ganze Welt von Möglichkeiten.
»Unser Handel ist abgeschlossen«, erklärte Belenos gewichtig. Offenbar fühlte er sich schon wie ein Weltherrscher.
Brechreizerregender Kretin!
Miru-kai streifte sich das Band übers Handgelenk und blickte kurz zu den Vampiren, die wenige Meter entfernt standen. Wie nannte man eine Ansammlung von Untoten? Herde? Rotte? Meute? Einen Vampirhaufen?
Da befand sich etwas eindeutig nicht Vampirisches in ihrer Mitte. Miru-kai konnte lediglich eine kleine Gestalt ausmachen, die vor Leben strahlte. »Ist das ein menschliches Kind?«
Er liebte menschliche Kinder.
Dieses war weiblich und stand an der Schwelle vom Kind zur jungen Frau. Es war von leblosen Körpern umzingelt.
Rasch atmend wie ein Vogel,
dachte er. Wahrscheinlich bemühte die Kleine sich, nicht zu tief einzuatmen, damit sie die dunklen Ärmel ihrer Entführer nicht streifte. Er konnte sehen, wie sie vor Ekel erschauderte.
Armes Kind!
Belenos’ Mundwinkel zuckte. Es war nur die Andeutung eines selbstzufriedenen Lächelns. »Mit deiner Hilfe, Prinz Miru-kai, fand ich die Mittel, eine lebendige Dynastie zu gründen.«
Er machte eine Pause, um Miru-kai Gelegenheit zu geben, sich gebührend beeindruckt zu zeigen. Der Prinz verneigte sich leicht.
Nun fuhr der Vampir fort: »Dies ist die Tochter einer Frau, mit der ich meinen Plan auszuführen gedenke. Meine menschlichen Diener haben sie heute Morgen geholt.«
Miru-kai runzelte die Stirn. »Warum?«
»Als Druckmittel. Ich lasse die Kindsmutter schmoren, bis sie hinreichend verzweifelt ist. Dann locke ich sie in eine Falle, vielleicht hier in der Burg. Exakt die richtige Atmosphäre für einen Hinterhalt, meinst du nicht auch?«
Miru-kai, der diese Atmosphäre ein Jahrtausend lang hatte genießen dürfen, zuckte mit den Schultern.
»Sobald die Mutter sie suchen kommt«, erklärte Belenos, »nehme ich beide mit in mein Königreich.«
Eisige Furcht legte sich einem Leichengewand gleich über Miru-kai. »Falls du an die Magie des Erwählten denkst, verlangt sie nicht Zuneigung aus freiem Willen?«
Nun war es Belenos, der mit den Schultern zuckte. »Gefangenschaft kann Zuneigung lehren. Stellt sie sich nicht ein, habe ich die Tochter. Sie kann ich erziehen, mich zu lieben, und sie trägt die Magie ihrer Mutter in sich. Möglicherweise werden mir beide gute Gemahlinnen. Außerdem bin ich nach wie vor entschlossen, mir die Urne zu holen. Wie man so schön sagt: Viele Wege führen nach Rom. Ich bekomme meinen Erben!«
Der Vampir bog seinen Mund zu einem Lächeln, bei dem sich Miru-kais Magen umdrehte. Er blickte zu dem Mädchen. Die braunen Augen waren weit aufgerissen vor Angst und das Gesicht beinahe so bleich wie die der Vampire.
Anscheinend legte der König den Begriff des freien Willens sehr großzügig aus.
Wut regte sich in Miru-kais Innerem wie sengende Hitze.
Von Hollys Haus aus machten sich alle auf die Suche nach Eden. Reynard organisierte sie, legte Suchzonen fest und teilte sie den Freiwilligen zu. Natürlich tat auch die Polizei, was sie konnte, aber es waren nur begrenzt Männer verfügbar und eine Menge Straßen abzusuchen. Alle Nachbarn waren zu Hilfe gekommen, menschliche wie übernatürliche. Reynard hatte Ashe losgeschickt, von Tür zu Tür zu gehen, denn es war offensichtlich, dass sie sich bewegen musste. Seine Stärke wiederum bestand darin, das Kommando zu übernehmen und Aufgaben zu verteilen.
Er wünschte bloß, er würde sich besser fühlen. Er hätte leugnen können zu spüren, dass seine Urne fehlte, doch davon ging die Erschöpfung nicht weg, die mit jeder
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