Seelenkuss / Roman
»Und deshalb kommt ihr direkt zu mir? Soll ich mich geschmeichelt oder beleidigt fühlen?«
Ashe überging diese Frage. »Der Dieb handelt wahrscheinlich mit teuren Wertgegenständen oder Kuriositäten, einschließlich Waren aus der Burg.«
Lor setzte sich gerade hin. Seine Augen verdunkelten sich, was der einzige Hinweis auf seinen unterdrückten Zorn war. »Ich habe einmal Tauschhandel mit den Warlords der Burg betrieben, um meine Hunde aus der Sklaverei freizukaufen. Denkt ihr, deshalb kenne ich jeden Dieb und Schmuggler, der sich in die Burg wagt?«
»Nein, aber Höllenhunde kennen beinahe alle Gerüchte«, erklärte Reynard ruhig. »Deshalb sind wir hier. Du bist die beste Informationsquelle, auf die wir hoffen können.«
Lor saß sehr still da. Ashe wurde mulmig von der fühlbaren Spannung im Raum. Sie kämpfte lieber, als dass sie Informationen sammelte. Jemandem eins über den Schädel zu braten war so viel leichter, als ihn zur Kooperation zu überreden.
Reynard fuhr fort: »Wir glauben, der Dieb könnte ein Dämon sein.«
»Derselbe, dem der Buchladen gehörte, der gestern runtergebrannt ist«, ergänzte Ashe. »Du weißt schon – der, den Holly euch bat zu bewachen, damit keine Menschen in den Laden gehen. Wir denken, dass wir es mit einem Sammlerdämon zu tun haben.«
Lor schien verwirrt. »Wenn ihr wisst, wer der Dämon ist, warum fragt ihr mich dann?«
»Weil der Laden abgebrannt ist, und jetzt wissen wir nicht, wo er steckt. Wenn wir erfahren können, mit wem er sich herumtreibt, ob er noch andere Sachen kaufen will oder was auch immer die Gerüchteküche hergibt, ist es leichter, ihn ausfindig zu machen.«
Lor nickte, während seine Verwirrung ernster Nachdenklichkeit wich. »Wie beispielsweise … ob er vielleicht von einem Vampir verfolgt wird?«
»Ist das dein Ernst?« Ashe machte sich kerzengerade auf ihrem Stuhl.
Bingo!
»Höllenhunde können nicht lügen. Es ist wider unsere Natur, wie dir sehr wohl bekannt ist.« Nun war er wieder verärgert.
Reynard beugte sich vor. »Erzähl uns von ihm, bitte!«
»Viel gibt es nicht zu erzählen, aber der Zwischenfall war ungewöhnlich.« Lor stand auf, stellte seinen Becher auf den Tresen und drehte sich um. »Gestern Abend arbeitete ich noch spät hier. Gegen Mitternacht klopfte ein Vampir an meine Tür und stellte mir dieselben Fragen wie ihr.«
»Göttin!«, hauchte Ashe. »Wer war er?«
»Weiß ich nicht. Ein Fremder. Er war mächtig, groß, rothaarig und sehr, sehr alt. Ich roch Zorn an ihm. Auch er hatte gehört, dass die Hunde von dem Handel mit gestohlenen Waren wüssten. Den Fragen nach, die er stellte, bin ich sicher, dass er denselben Dieb jagt.«
»Belenos.« Ashe stand auf, weil sie nicht mehr ruhig sitzen konnte. »Er ist der König des irren Ostens.«
Wieder zogen sich Lors Brauen zusammen. »Ich fragte mich bereits, wer er sein mochte. Andere waren bei ihm, hielten sich draußen im Schatten verborgen. Er reist mit einer Leibgarde.«
»Hat er sonst noch etwas gemacht, außer Fragen gestellt?«, wollte Ashe wissen.
»Wartet hier!« Lor trottete durch das Lagerhaus auf ein kleines Büro in der Ecke zu.
Reynard erhob sich und stellte seinen Becher neben Lors ab. Er war halb leer. Für einen Moment verharrten seine Finger am Henkel, als wollte er den restlichen Kaffee ungern hergeben. »Der schmeckt gut.«
Er stirbt.
Sie wusste es, und dennoch kam der Gedanke einem Fausthieb unter die Gürtellinie gleich. Ashe versuchte, möglichst ruhig zu wirken, während sie ihn prüfend ansah. »Du siehst nicht traurig aus.«
»Es ist schwer zu erklären, wie es sich anfühlt, nach Hunderten von Jahren etwas richtig zu schmecken.« Für einen Sekundenbruchteil hielt er sich am Tresen fest.
»Alles okay?«, erkundigte Ashe sich vorsichtig.
»Natürlich.« Er wandte sich zu ihr um.
O Göttin!
Ihr schlechtes Gewissen war so erdrückend, dass sie ihr Gesicht wegdrehte und leise fluchte. »Ich sollte längst einen Plan haben, dabei weiß ich nicht mal, was wir als Nächstes tun sollen! Ich dachte, Lor wäre uns eine größere Hilfe.«
»Aber er ist sehr wohl eine Hilfe. Wir wissen nun, dass der fremde Vampir uns zu dem Dämon führen kann. Finden wir den einen, finden wir auch den anderen.«
»Mir muss etwas einfallen!« Sie marschierte ein paar Schritte auf und ab, rammte die Fersen fest in den Boden, um jene besondere Ruhe zu finden, die sie durch so viele Jagdaufträge gebracht hatte. »Das dauert alles zu lange!«
Sie hatte
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