Seelenkuss / Roman
und ihn schützen wollte. Sie sah in alle Schaufenster, prüfte, welche noch unversehrt waren. Der Uhren- und der Blumenladen schienen okay, ebenso wie das Brautmodengeschäft.
Sie machte ein paar Schritte auf »Louise’s Weddings« zu und betrachtete das Kleid im Fenster. Erleichtert stellte sie fest, dass ihr Lieblingskleid unverschleimt war. Es handelte sich um ein trägerloses, gerade geschnittenes Modell – schlicht, aber klassisch. Ashe hatte nur eine standesamtliche Trauung gehabt, die schneller vorbei gewesen war, als die Tinte auf den Urkunden trocknete. Eigentlich hielt sie auch gar nichts von allzu viel Brimborium, doch beim Anblick dieses Kleides fand sie, ein klein bisschen mehr Feierlichkeit wäre nicht schlecht. Champagner, Fotografen, Flitterwochen … Sirenen.
Sie hörte, wie sich Sirenen näherten. Noch waren sie weiter weg, aber sie bewegten sich schnell.
Ashe lief zum Eingang, um zu schauen, was dort zu sehen war. Hatte jemand begriffen, dass der Schleim kein simples Problem für die Hausmeister darstellte, und die Cops gerufen? Oder die Feuerwehr, weil er den Gestank mit einem Gasleck verwechselte?
Noch mehr Menschen hier wären gar nicht gut. Mögliche Opfer würde man unwillkürlich der Übernatürlichengemeinde ankreiden, und die Nichtmenschlichen wurden sowieso schon kaum toleriert. Ein Grund mehr, die Sache zu beschleunigen.
»Wir kriegen Gesellschaft«, informierte sie die anderen. »Feuerwehr- oder Polizeiwagen sind hierher unterwegs.«
»Sieh dir das an!« Alessandro zeigte einen anderen Gang hinunter, in dessen Mitte sich der Osterhasenthron befand. Dort hockten sich die Kinder auf den Schoß des Osterhasen und wünschten sich riesige Mengen Schokoladeneier.
Da Ashe derzeit ein angespanntes Verhältnis zu Hasen hatte, war sie froh, dass seine Schlappohrmajestät sich den Rest des Tages freigenommen hatte. »Was ist denn?«, fragte Ashe.
Was soll da sein?
Der Thron war umgeben von Plüschküken, Jelly Beans und Papplämmern in absurden Pastelltönen. Im Schaufenster eines nahen Postkartenladens war eine ganz ähnliche Szenerie aufgebaut, ergänzt durch ein winziges österlich dekoriertes Dorf mitsamt Modelleisenbahn.
Als sie näher kam, vernahm Ashe ein schwaches asthmatisches Hauchen, das wohl das Lokomotivenpfeifen sein sollte.
Sie fühlte Alessandro neben sich. Der Vampir bewegte sich vollkommen lautlos. »Das Postkartengeschäft verkauft dieses Osterdorf«, sagte er. »Die Einzelteile sind Sammlerstücke und teuer.«
Plötzlich begriff Ashe, worauf er hinauswollte. Sie zog den Colt, den sie hinten an ihrer Hüfte trug. »Der Laden hat nur eine von den Kirchen. Sie kostet Hunderte von Dollar.«
Alessandros Miene verhärtete sich, während er zu seinem Schwert griff. »Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass unser Dämon sich solch eine Kostbarkeit entgehen lässt. Du?«
Wenige Meter vor dem Ladeneingang verlangsamten sie ihre Schritte, und Ashe riskierte einen Blick hinter sich. Reynard war ihnen gefolgt, seine Waffe gezogen, Holly dicht auf seinen Fersen.
Dann linste Ashe an einem großen Aufsteller mit Souvenir-Bechern vorbei in das Geschäft.
Mist! Geiseln!
Tony saß auf dem Kassentresen, ein zufriedenes Grinsen im Gesicht, und packte jeden Karton mit Teilen des Miniaturdorfes aus, die er neben sich aufstellte. Ungefähr zwanzig Kunden und Mitarbeiter kauerten auf dem Boden. Tony benutzte den Laden als Gefangenenraum. Ashe zählte fünf Kinder, die jünger als Eden waren, und zwei alte Frauen. Stumm bedeutete sie den anderen, außer Sichtweite zu bleiben.
Er muss den Sicherheitsdienst ausgeschaltet haben, sonst hätte jemand etwas auf einem der Überwachungsmonitore gesehen.
Aber vielleicht hatte jemand heimlich via Handy die Polizei gerufen. Ashe hatte Sirenen gehört. Wo zur Hölle blieben die?
»Mir fehlt immer noch die Brücke«, sagte Tony. Sein freundlicher Gesichtsausdruck übertrug sich nicht auf die Stimme, die schneidend wie ein Dolch klang.
Eine Verkäuferin eilte zu einer Vitrine mit Schiebetüren. Sie öffnete sie und wühlte hektisch durch Dutzende identisch aussehender kleiner Schachteln, deren Etiketten sie las, um die zu finden, die sie brauchte. Schließlich hatte sie die richtige und lief zum Kassentresen. »Hier, bitte, Sir!«
Behutsam öffnete Tony den Deckel, zog einen Styroporklotz hervor, klappte ihn auseinander und nahm eine kleine Steinbrücke heraus, auf welcher der
Osterexpress
den Fluss überquerte. Ein verzücktes Lächeln trat
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