Seelenkuss / Roman
zu. »Fang! Und lauf zum Depot!«
Holly machte große Augen, fing das Ding aber und rannte los. Der Dämon wirbelte herum, wobei Rauchschwaden aus seiner fließenden Form aufstiegen. Er kreischte vor Wut und warf Holly Becher und Minihäuser hinterher.
Reynard ergriff die Gelegenheit, um ein Portal gleich über dem qualmenden Ding zu öffnen. Zornig schlug der Dämon um sich. Postkarten flogen durch die Luft; Briefbeschwerer und Geschenkkartons vollführten wilde Loopings. Irgendetwas traf Ashe am Hinterkopf. Sie torkelte und stolperte über die Kante eines niedrigen Regals. Sobald sie dalag, rieselten alle fliegenden Gegenstände auf sie herab wie besonders gehässiger Schnee: Briefumschläge, Schleifen, Stifte, Notizbücher, Fotorahmen und Baumschmuck. Ashe rollte sich auf den Bauch, hielt schützend beide Hände über ihren Kopf und versuchte, sich auf ihre Knie aufzurichten. Die albernen Postkarten fühlten sich seltsam schwer an, als wären sie aus Stein, nicht aus Papier, und immer mehr von ihnen türmten sich auf ihr. Ashe wollte eine Hand aus dem Haufen strecken, doch die Karten und Umschläge schienen an den Rändern zusammenzukleben. Licht wurde durch den Papierschleier gefiltert, ein Schachbrett in Rosa, Weiß und Blassgrün, in dem Ashe gefangen war wie in einem Kokon.
Sie bekam Panik. Mit jeder ihrer Bewegungen schien die Falle fester zuzuschnappen. Ihre Beine waren zu eingeschnürt, als dass sie hätte treten können. Also zwang sie sich, ruhig zu liegen, und lauschte keuchend. Der ausgetretene Teppichboden war nur Zentimeter von ihrer Nase und ihrem Mund entfernt, und unter ihrer Wange klebte ein alter Kaugummi im Bodenbelag. Künstliches Kirscharoma vertrug sich nicht sonderlich gut mit Dämonengestank, wie Ashe feststellte.
Hören konnte sie rein gar nichts. Der Papierhaufen drückte ihr auf Rücken und Brustkorb und presste sie buchstäblich an den Boden. Ihre Lunge rang brennend nach Luft. Ashe kam es vor, als hätte der Dämon alles auf ihr abgeladen, was er jemals gesammelt hatte.
Nicht einmal mehr ihre Finger konnte sie bewegen. Jeder Nerv ihres Körpers schien in Brand zu sein, flehte sie an, ihre Muskeln zu rühren, doch sie brachte kaum ein Schaudern zustande. Heiße salzige Zornestränen rannen ihr über die Lippen und tropften auf den kratzigen Teppich.
Wo sind die alle? Was ist los? Wieso höre ich keinen Pieps?
Was an Sauerstoff in dem Kokon gewesen war, hatte sie aufgebraucht. Als ihr Sichtfeld sich von den Rändern aus verdunkelte, schloss sie die Augen, denn die kriechende Finsternis musste sie sich nicht unbedingt ansehen.
Ihr Atem ging in schleppenden, rasselnden Stößen.
Und dann stoppte er ganz.
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23
R eynards Portal schwankte und schrumpfte langsam, bis es in sich zusammenfiel wie eine welkende Blume.
Holly fing die Miniaturkirche, hielt sie hoch über ihren Kopf und tänzelte rückwärts. »Hey, du! Hier drüben!«
Nur ließ Tony sich nicht mehr ablenken. Er kämpfte dagegen, ins Burgexil gedrängt zu werden – kämpfte und siegte. Reynard fluchte. Ein Portal war schwierig genug zu halten, ohne dass ein Dämon versuchte, es zuzuschlagen. Er konnte die anderen Wachen hinter der Öffnung fühlen, die zu helfen versuchten, doch Reynard war der stärkste von ihnen.
Diesmal leider nicht stark genug. Der Sammlerdämon mochte weniger Macht besitzen als ein Seelenfresser oder ein Feuerdämon, sie hatten es aber immer noch mit einer Höllenbrut zu tun. Dass er sich friedlich ergab, war nicht zu erwarten.
Reynard gab das Portal auf und nahm seine Arme herunter, während es zuwirbelte.
Sie mussten sich etwas anderes einfallen lassen.
Aus Erfahrung wusste Reynard, dass Dämonen leichter mittels Beharrlichkeit denn purer Kraft zu fangen waren. Wenn sie sich jetzt zurückzogen, bedeutete das keine Niederlage, sondern lediglich den Beginn einer Prüfung. Reynard wollte die Schwäche der Kreatur herausfinden. Er war der Captain der Burgwachen. Gegen Monstren zu kämpfen war sein Beruf.
Er wischte sich die Hände an seiner Jeans ab und machte sich für die nächste Runde bereit. Ein verdrehter Teil von ihm genoss die Herausforderung – aber er war müde. Der Urne nahe zu sein genügte nicht. Er musste sie finden und in die Burg zurückkehren.
Die der letzte Ort war, an den er gehen wollte. Und möglicherweise schaffte er es gar nicht mehr dorthin. Das Ende kam so oder so, worüber nachzusinnen Reynard sich gegenwärtig nicht erlauben konnte.
Das Ding, das Tony der
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