Seelenkuss
entschieden den Kopf. » Wird eine Seele aus einem lebendigen Körper gerissen, nistet sich die Kälte des Schleiers an ihrer Stelle in ihm ein « , erklärte sie. » Es ist wichtig, dass man jemanden in seinem Zustand warm hält. Und je tiefer eine Seele im Schleier verloren ist, um so wärmer muss es sein. Außerdem ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass der Körper etwas spürt, damit auch die Seele spürt, dass da noch etwas ist, in das sie zurückkehren kann und sich nicht immer tiefer in den Schleier verirrt. Wäre eine von uns seine Nekromantia, würde sie sich zu ihm legen und ihn… « , Röte kroch ihren Hals hinauf. » …nun, ihn wärmen eben. Aber so… « Sie zupfte verlegen an einem Faden, der aus dem Mantelstoff hervorstand.
» Warum tust du das? « Darejans Frage ließ die junge Frau aufsehen.
» Was? «
» Du sorgst dich um ihn. «
Verwirrt runzelte Mirija die Stirn. » Tust du das nicht? «
Darejan zögerte, blickte auf den DúnAnór hinab. Seine Augen hatten sich geöffnet, doch sie starrten nur leer ins Nichts. Behutsam schloss sie ihm die Lider wieder, ließ ihre Hand auf seinem Gesicht liegen. Sie spürte seine Wimpern auf ihrer Haut. Die Kälte, die von ihm ausging, schien sich auch auf sie ausdehnen zu wollen. Noch nicht einmal die Hitze der Steine um ihn herum schien auch nur einen Hauch Wärme in seine Glieder zu bringen.
» Ein Nekromant aus Kahel sagte, die DúnAnór hätten Menschen zu ihren Sklaven gemacht und Unschuldige gejagt und ermordet. Er sagte, sie würden sich anmaßen, über andere zu richten, und nannte sie › Seelenhenker ‹ . « Er sagte, dass man ihn vielleicht geschickt hat, um meine Schwester zu ermorden.
Die Falten auf Mirijas Stirn vertieften sich ärgerlich. » Der Kerl kann kein Nekromant sein, wenn er solche Dinge behauptet. › Seelenhenker ‹ nannten vor langer Zeit jene Nekromanten die DúnAnór, die sich gegen die Seelen der Lebenden und Toten versündigt hatten. Sie waren es, die von den DúnAnór gejagt und hingerichtet wurden. Und nur sie! Keine Klinge hätte jemals die Hand gegen einen Unschuldigen erhoben. Oder einen Menschen zu ihrem Sklaven gemacht. « Mit einem Schnauben ließ sie von dem Faden ab und stopfte die Decken fester um den leblosen Körper herum.
Darejan beobachtete sie stumm dabei. Wie passte das mit der Angst und dem Abscheu zusammen, mit dem Fren über die Klingen der Seelen gesprochen hatte? Wie passte dieser ruppige, arrogante Mann, dessen Kopf schwer in ihrem Schoß lag, zu den scheinbar so ehrenhaften DúnAnór? Sie presste die Hand gegen die Stirn, versuchte den vagen Schmerz fortzureiben, der sich wieder bemerkbar machte. Irgendetwas an alldem war falsch. Musste falsch sein. Hinter ihr knackte das Holz in den Flammen. In der Stille klang das Geräusch wie ein Peitschenschlag.
» Ist alles in Ordnung mit dir? « Mirijas besorgte Frage ließ sie zu ihr hinübersehen.
» Nur Kopfschmerzen. Sie werden wieder vergehen. «
Die Schülerin des Nekromanten nickte, blickte sie aber weiter verlegen von unten herauf an. » Du weißt nicht viel über die DúnAnór, oder? « , fragte sie schließlich.
» Nur das, was Fren mir gesagt hat « , gestand Darejan nach einem Zögern.
» Fren? «
» Der Nekromant, von dem ich dir eben erzählt habe. «
Etwas wie Ärger huschte über das Gesicht der jungen Frau. » Der Kerl, der Lügen über sie verbreitet « , schnaubte sie.
Ein paar Herzschläge lang betrachtete Darejan die Züge des Verrückten. » Was weißt du über sie? « , fragte sie dann.
» Die DúnAnór? « Den Kopf zur Seite geneigt, blickte Mirija sie an.
Darejan nickte. » Haben sie die gleichen Fähigkeiten wie Nekromanten? «
» Nein. Ihre Gabe ist anders als die eines Nekromanten. Und ungleich gefährlicher. Sie können eine Seele nur aus dem Schleier zurückführen und ihr den Weg in ihren eigenen Körper zeigen. Ein Nekromant dagegen ist in der Lage, eine Seele in jeden Körper zu bannen, auch wenn es nicht der eigene ist. Die meisten können eine Seele nur für eine kurze Spanne in einem › Gefäß ‹ , wie man einen fremden Körper nennt, halten. Gewöhnlich allerhöchstens für die Spanne zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Nur wenige waren in früheren Zeiten mächtig genug, einer Seele über diese Frist hinaus einen Körper zu geben. Ahoren Nesáeen war einer von ihnen. Er allein schaffte es, die Seelen so lange in ein Gefäß zu bannen, wie es ihm beliebte. « Sie schauderte und musste sich räuspern,
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