Seelenkuss
hätten, und plötzlich vergaßen die großen Völker Oreádons, dass sie ihnen gegen Ahorens BôrNadár und seine Schattenlegionen beigestanden hatten, ohne jemals ihre eigenen Toten aufgerechnet zu haben. Sie wandten sich gegen die DúnAnór. Viele starben durch Heimtücke, andere wurden auf Scheiterhaufen geschleppt und verbrannt. Die letzten von ihnen zogen sich in den CordánDún zurück. Nur mit den Isârden und mit einigen Bergvölkern wie den Zonan, den Jarhaal und einigen Kriegerclans der Jerden, die sich während der Seelenkriege Ahoren bis zum Ende widersetzt und mit denen sie Seite an Seite gekämpft hatten, blieben sie verbunden. Mit der Zeit wurden sie für alle anderen zu einer Legende aus vergangenen Tagen. « Sie presste die Handflächen gegeneinander. » Ich weiß nicht, was werden soll, wenn Niéne recht hat und Ahorens Seele tatsächlich aus dem KonAmàr befreit wurde. Wenn er die BôrNadár wirklich aus dem Schleier zurückgerufen hat und seine Schattenlegionen neu erschafft. Wenn es wahrhaftig nur noch so wenige Klingen der Seelen gibt, wie mein Meister gesagt hat… Was wird, wenn es ihm gelingt, Oreádon dieses Mal vollständig zu unterwerfen? « Verzweifelt blickte sie Darejan an. Doch die hatte keine Antwort auf ihre Frage.
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D er lautlose Schrei einer Seele ließ den alten Nekromanten aufschrecken. Ein Schaudern kroch durch seine Glieder. Er kannte diese Seele. So schnell es die Gicht in seinen Beinen erlaubte, hastete er die Treppe hinunter, zu der Kammer seines Schülers, und stieß die Tür auf. Kälte schlug ihm entgegen. Schwaches Mondlicht badete die Straßen Rokans in seinem silbernen Licht und fiel durch das Fenster herein. Der Junge lag in seinem Bett. Ein dunkler Fleck breitete sich rasch auf dem Kissen unter ihm aus. Blut rann aus seiner aufgerissenen Brust. Seine gebrochenen Augen starrten seinen Meister an. Dann stand ein Schatten vor dem alten Mann. Ein Laut des Entsetzens wurde zu einem Gurgeln, als der Mund des Grauen Kriegers sich über den des Nekromanten legte, während seine Finger zwischen die Rippen des Alten stießen und nach seinem Herz griffen.
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N och immer benommen nach der durchwachten Nacht und den Strapazen des vorangegangenen Tages, nickte Darejan nur kurz, als Mirija am Morgen durch einen Krieger von ihrer Seite gerufen wurde. Allein mit dem DúnAnór, an dessen Zustand sich seit dem gestrigen Abend nichts geändert hatte, beugte sie sich vornüber, lehnte ihre Stirn gegen seine, schloss die brennenden Augen und versuchte zu begreifen, warum dieses Gefühl der Hilflosigkeit, das sie bei seinem Anblick empfand, beinah wie ein körperlicher Schmerz in ihrem Inneren brannte.
Ein Räuspern in ihrem Rücken ließ sie sich hastig wieder aufrichten und umsehen. Niéne stand hinter ihr und musterte sie mit unergründlichem Blick. » Meine Männer bereiten eine Bahre für ihn vor. Wir nehmen euch mit nach Issra. Dort seid ihr fürs Erste sicher. «
Für einen Moment blinzelte Darejan die Kriegerin verwirrt an. » Er kann nicht… «
Mit einer scharfen Geste brachte die Isârde sie zum Schweigen. » Wir werden euch bestimmt nicht zurücklassen, während diese Bestien die Dörfer der Umgegend heimsuchen « , beschied sie ihr und hielt Darejan ein Bündel entgegen. » Hier sind saubere Kleider für euch. Ich kann nicht zulassen, dass ihr wie eine Bettlerin herumlauft. Immerhin gehört ihr zu ihm. « Mit dem Kinn wies sie auf den DúnAnór. Als Darejan nicht schnell genug reagierte, drückte Niéne ihr die Kleidungsstücke in die Arme. » Nun macht schon! Ich verbinde seine Wunde neu, dann wollen wir aufbrechen. Etwas zu essen bekommt ihr später. « Noch immer seltsam verwirrt, kroch Darejan steif unter der Lederplane hervor und suchte sich ein Gebüsch, das sie vor neugierigen Blicken verbergen würde. Als sie wenig später wieder dahinter hervorkam, ihr Kleid als unordentliches Bündel vor die Brust gepresst, musste sie feststellen, dass die Isârden tatsächlich schon zum Aufbruch bereit waren. Die Flüchtlinge standen in kleinen Gruppen beisammen, ihre wenigen Habseligkeiten in den Armen oder über der Schulter. Eben schnürte ein Krieger die Lederplane zusammen, die ihnen Schutz geboten hatte. Der DúnAnór lag auf einer Bahre aus Riemen und Decken. Mirija kniete wieder neben ihm und sah auf, als Darejan herankam.
Offenbar hatte die Kriegerin nicht nur seine Wunde frisch verbunden, sondern ihm obendrein auch noch ein Hemd übergezogen. Mochten die Sterne
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