Seelenmoerder
nachdem wir zugemacht hatten, doch dann hat mein Saftsack von Boss« – er deutete mit dem Kopf in Richtung des Mittvierzigers, der am Ende des Tresens mit Dugan sprach – »die Abrechnung gemacht und behauptet, es würden zweihundert Dollar in der Kasse fehlen. Da ist er komplett ausgerastet. Keiner von uns darf gehen, bis das Geld auftaucht, und das heißt, die ganze Belegschaft steht drei Stunden unbezahlt in der Gegend herum, weil er damit droht, die Cops zu rufen und uns alle anzuzeigen.« Er warf seinem Arbeitgeber einen bösen Blick zu. »Arschloch.«
Drei Stunden. Wenn sich seine Geschichte erhärtete, bedeutete das, dass es mindestens fünf Uhr gewesen war, bis er das Lokal verlassen hatte, während die Feuerwehr um vier Uhr fünfzehn zu Karen Larsens Haus gerufen worden war.
»Waren Sie der Einzige, der Drinks ausgeschenkt hat, solange die Frau hier war?«
Cordray überhörte die Frage, da ihn der gerechte Zorn quälte. »Nach drei Stunden kommt er dann endlich dahinter, dass er falsch gezählt hat – zweimal -, aber entschuldigt er sich vielleicht? Teufel, nein. Wir dürfen alle auf ein paar Stunden Schlaf verzichten, nur weil das Arschloch den Mathestoff der vierten Klasse nicht beherrscht.«
Abbie zwang sich zur Geduld und wiederholte ihre Frage.
»Nee. Wir waren zu zweit. Benny hat an dem Abend auch hinter der Bar gestanden. Ich weiß, dass er ihr mindestens einen Drink gebracht hat, weil er es nämlich war, der mich auf sie aufmerksam gemacht hat.«
»Und als sie gegangen ist? In was für einem Zustand war sie da?« Angesichts der lähmenden Eigenschaften der Drogenmixtur bezweifelte Abbie, dass Karen Larsen schon vor ihrem Eintreffen in der Bar damit in Berührung gekommen war und dann noch normal agieren konnte. Doch andererseits hatte sie sogar mit der Droge im Blut ein Fenster einschlagen und aus ihrem Schlafzimmer flüchten können.
»Im gleichen wie die meisten, die hier rausgegangen sind. Betrunken. Aber nicht so betrunken, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Sie hat sich auf dem Handy selbst ein Taxi gerufen und ist ohne Hilfe nach draußen marschiert.«
Das hätte sie garantiert nicht geschafft, wenn sie die Droge bereits intus gehabt hätte. Abbie nahm sich vor, Karen Larsen irgendwie dazu zu bringen, dass sie ihnen die Ergebnisse des Drogentests von sich aus gab.
Die Aussicht darauf erschien ihr nicht weniger abwegig als die Hoffnung, heute hier noch weitere brauchbare Informationen zu erhalten. Obwohl ihr das klar war, versuchte sie eine bequemere Stellung auf dem hohen Barhocker einzunehmen und fragte resigniert: »Der andere Mann, der an diesem Abend hinter der Bar gestanden hat – ist er hier?«
Laura Bradford lächelte, als ihr Begleiter sich entschuldigte und den Tisch verließ. Dass jemand an einem Samstagabend ein Gespräch am Mobiltelefon annehmen musste, hätte bei jedem anderen ihre Warnlampen aufleuchten lassen, doch Warren Denton war ein hochkarätiger Strafrechtsanwalt. Bei seinem Beruf war durchaus glaubwürdig, dass er nie ganz frei hatte.
Die leise Nervosität kribbelte angenehm in ihrem Magen, als sie einen Schluck von dem sicher sündhaft teuren Wein trank. Als Gerichtsstenografin war sie es gewohnt, unsichtbar zu sein. Es hatte über ein Jahr gedauert, bis Denton
überhaupt das Wort an sie richtete, wenn sie sich außerhalb des Gerichtssaals begegneten, und ein weiteres, bis er sie fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle. Jetzt musste unbedingt alles klappen. Warren war zwar zweimal geschieden, doch er war redegewandt, charmant, gut gekleidet und attraktiv. Außerdem schadete es nichts, dass er reich war und offensichtlich nichts dagegen hatte, sein Geld auszugeben. Das Drehrestaurant in der obersten Etage eines Wolkenkratzers in der Innenstadt war das exklusivste Lokal von ganz Savannah.
Sie holte ihre Puderdose heraus und überprüfte im Spiegel ihr Make-up. Man sah ihr an, dass sie sich mit ihrem Äußeren Mühe gegeben hatte. Die stillschweigende Anerkennung auf Warrens Miene, wann immer er sie anblickte, war ihr nicht entgangen.
Laura gestattete sich ein kleines Lächeln, als sie das Puderdöschen wieder einsteckte. Nach den zahlreichen fruchtlosen Verabredungen, die sie in den vergangenen Monaten über sich hatte ergehen lassen – die letzte davon mit einem arbeitslosen fünfunddreißigjährigen Star-Trek-Fan, der noch bei seinen Eltern im Keller lebte -, hatte sie das Recht, sich auf einen Abend mit einem richtigen Mann zu
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