Seelenmoerder
Abbie wie ein Schlag, als sie im Halbdunkel nach Officer O’Malley und Officer Dugan Ausschau hielt. O’Malley erspähte sie zuerst und ging auf sie zu. »Ich habe jemanden, der sie erkannt hat, Ms Phillips.« Er nickte mit dem Kopf zu dem Mann hinter der Bar, der gerade langsam den Tresen abwischte. »Jim Cordray. Er hat an dem besagten Abend bis zum Schluss gearbeitet.«
»Danke, Tom.« Abbie ging an O’Malley vorbei und auf den Tresen zu, wobei ihr der ununterbrochen auf sie gerichtete Blick des Barkeepers nicht entging.
»Mr. Cordray, ich bin Abbie Phillips vom SCMPD. Ich habe gehört, Sie hätten jemanden auf einem Foto erkannt, das Ihnen die Officers O’Malley und Dugan gezeigt haben.«
Der rasierte Schädel des Barkeepers glänzte unter der über ihm hängenden Lampe. Angesichts seines Brust- und Bizepsumfangs hätte man annehmen können, dass er in seiner Freizeit Kleinwagen stemmte. Ob er wohl als Rausschmeißer fungierte, wenn er nicht gerade Drinks mixte? Jedenfalls war er eine wandelnde Anabolika-Werbung.
»Die Frau hab ich erkannt, den Typen nicht.«
»Okay. Sie haben also an diesem Abend hinter der Bar gestanden?«
»Genau.« Er gab sich keine Mühe zu verbergen, mit welch aufdringlichem Interesse er ihre Figur musterte. »Sie hat Goldfischglas-Margaritas gekippt wie Wasser.«
»Goldfischglas-Margaritas?«
Er drehte sich um, griff nach einem überdimensionalen Kelchglas und stellte es vor sie auf den Tresen. Abbie hob die Brauen. Bei ihrem zierlichen Körperbau war sie ein echtes Leichtgewicht in Sachen Alkohol. Von zwei Drinks dieser Größe wäre sie volltrunken.
Karen Larsen war zwar fünfzehn Zentimeter größer als sie, aber wenn sie mehrere dieser Dinger geleert hatte, war es kein Wunder, dass sie komplett hinüber gewesen war. »Wie lange war sie an diesem Abend hier?«
Er zuckte die Achseln. Zumindest interpretierte Abbie es so, als sich seine massigen Schultern in Richtung Hals bewegten. »Keine Ahnung, wann sie gekommen ist. Aber sie hat etwa zwei Stunden hier an der Bar gesessen und war noch da, als wir dichtgemacht haben. Sie war schon ganz schön benebelt, als sie mir aufgefallen ist. Und aufgefallen ist sie auf jeden Fall.«
»Weil?«
»Weil sie zeigte, was sie hatte, verstehen Sie? Enges Top, kurzer Rock … ziemlich hübsche Beine, aber ihr Hintern ist für meinen Geschmack ein bisschen zu flach.« Er gab
es auf, so zu tun, als wischte er den Tresen, stützte sich mit den Ellbogen darauf und begaffte Abbie noch einmal vom Scheitel bis zur Sohle. »Ich hab aber auch nichts gegen kleinere Päckchen.« Als er grinste, kam ein goldener Schneidezahn zum Vorschein.
»Sie kennen sich bestimmt bestens mit kleinen Päckchen aus«, erwiderte sie ausdruckslos. Officer O’Malley verwandelte sein Glucksen in ein Husten, als sich Cordrays Miene bedrohlich verfinsterte. »Ist sie allein gegangen? Ist Ihnen jemand Spezielles aufgefallen, der mit ihr geplaudert hat?«
»Sie ist allein gegangen. Und sie war sehr kontaktfreudig. Hat mit Unmengen von Leuten gesprochen, solange sie hier war. Aber mit niemand Bestimmtem.«
Abbie musterte den Mann und wagte einen Schuss ins Blaue. »Sind Sie mit ihr nach Hause gegangen?«
Er warf einen Blick auf den Mann am Ende des Tresens, der immer noch mit Officer Dugan sprach und vermutlich sein Chef war. »Nein«, antwortete er und fing erneut an, mit fahrigen Bewegungen den Tresen zu wischen.
»Aber sie hat Sie eingeladen, stimmt’s?« Als er es nicht abstritt, bohrte Abbie weiter. »Ich sage Ihnen, wie ich darauf komme, nachdem ich in fünf anderen Lokalen war und mir niemand mit Gewissheit sagen konnte, dass sie dort gewesen ist. Die Lokale waren voll, da ist es schwer, sich Wochen später noch an jemanden zu erinnern. Aber Sie erinnern sich nicht nur an sie, sondern wissen sogar noch, was sie getrunken und was sie angehabt hat. Daraus schließe ich, dass Sie sie nicht nur beiläufig wahrgenommen haben. Sie haben mit ihr geflirtet, stimmt’s? Und als die Schließzeit näher rückte, wollten Sie beide sich noch ein bisschen näher kennenlernen. Nichts dagegen zu sagen. Zwei erwachsene Menschen, oder?«
»Genau.« Cordray zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
»Und Sie wissen ja, wie man so sagt – bei Kneipenschluss sind alle Frauen schön.«
»Und wie ging es dann weiter? Hat sie Ihnen ihre Adresse gegeben? Sind Sie ihr nachgefahren, oder hat sie draußen auf Sie gewartet?«
Er schüttelte den Kopf. »Weder noch. Ich wollte zu ihr kommen,
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