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Seelenmoerder

Titel: Seelenmoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
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gewalttätig. Und das einzige Mal, dass er die Kontrolle zu verlieren schien, war, als ich mich gewehrt habe. Die meiste Zeit hatte ich den Eindruck, als hätte er überhaupt keine Gefühle.«

    Dieser Eindruck ließ sich eventuell auf die Gesichtsmaske zurückführen, mutmaßte Ryne. Ohne visuelle Hinweise auf die Gefühle des Mannes während der Tat musste er noch unmenschlicher wirken.
    Vielleicht war es aber auch nur die gespenstisch genaue Beschreibung eines Psychopathen.
    »Kam es bei ihm zu irgendeinem Zeitpunkt zu einer sexuellen Funktionsstörung?«
    Ryne musterte Abbie, als sie die Frage stellte. Es war eine der letzten auf seinem Fragebogen, doch sie hatte die Liste gar nicht gesehen.
    Barbara Billings zuckte lediglich hilflos die Achseln. »Wie ich den anderen Polizisten in der Klinik schon gesagt habe – nachdem er mir die Spritze gegeben hatte, habe ich ihn nicht mehr so genau wahrgenommen, wissen Sie? Es war, als wären alle meine anderen Sinne in den Hintergrund getreten, außer den körperlichen Gefühlen. Die Empfindungsfähigkeit war bis ins Unerträgliche gesteigert. Als wäre es ihm nicht genug, mich zu vergewaltigen und mich beinahe umzubringen«, fuhr sie in bitterem Tonfall fort. »Er musste mir auch noch etwas geben, um es noch schmerzhafter zu machen.«
    Ryne hatte das Gefühl, dass dies das wichtigste Detail über den gesuchten Verbrecher sein könnte. Auf jeden Fall stimmte es mit den Angaben der anderen Opfer überein.
    »Haben Sie in letzter Zeit anonyme Anrufe bekommen? Sei es vor oder nach dem Überfall?«
    Ihre Antwort war knapp. »Nein.« Doch auf einmal schien sie die Tragweite seiner Worte zu erfassen, und sie sah ihn entsetzt an. »Oh Gott. Glauben Sie, dass er versucht, mich zu kontaktieren?«
    »Wahrscheinlich nicht. Aber wenn Sie irgendwelche merkwürdigen Anrufe oder dergleichen bekommen, verständigen Sie uns, okay?«

    Sie schien in ihre Steppdecke hineinzuschrumpfen, als wollte sie sich selbst verschwinden lassen. Ryne wusste, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. »Was ist das Letzte, woran Sie sich erinnern, nachdem er Ihnen die zweite Spritze gegeben hat?«
    Ihr Kinn sank auf die Brust. »Er hat zusammengepackt. Seine Sachen weggeräumt. Ich weiß noch, wie ich gedacht habe: ›Endlich. Entweder bringt er mich jetzt um, oder er geht einfach.‹ Mir war ehrlich egal, was von beidem. Ich wollte nur, dass es vorbei ist.« Sie schluckte schwer und zog die Decke enger um sich. »Und dann hat er mir erneut die Spritze in den Arm gerammt, und ich … ich bin auf einmal so zornig geworden. Immer wieder habe ich gedacht, warum ich? Womit habe ich das verdient? Dann ist wieder alles um mich herum verschwommen, aber ich war so wütend, dass er ungestraft damit davonkommen würde. Ich wollte ihm wehtun. Ihn umbringen. Und dann hatte ich auf einmal die Hände frei.« Die Steppdecke erbebte unter ihrem heftigen Schaudern. »Keine Ahnung, irgendwie muss er meine Hände losgemacht haben, und da habe ich versucht, mich aufzusetzen und ihm eine zu verpassen. Ich glaube, ich habe ihn getroffen. Vermutlich im Gesicht.« Nancy Billings streckte die Arme nach ihrer Tochter aus, und Barbara brach förmlich an ihrer Brust zusammen. »Da ist er durchgedreht, und diesmal, nachdem er mich verprügelt hat … muss ich das Bewusstsein verloren haben. Ich erinnere mich nämlich an gar nichts mehr, bis ich im Wasser aufgewacht bin.«
    »War er da schon weg?«
    Sie schien die Frage überhört zu haben. »Ich dachte, ich müsste ertrinken. Mein Mund war zugeklebt, und das Wasser stieg immer höher, bis es mir in die Nase floss, außer wenn ich das Gesicht gegen die Oberseite des Käfigs gepresst habe.« Da brach ihr die Stimme, und sie vergrub das
Gesicht an der Schulter ihrer Mutter. »Es war wie in einem Alptraum. Nur dass ich nicht aufgewacht bin. Ich bin einfach nicht mehr aufgewacht.«
    Sie würden an diesem Tag nicht mehr aus ihr herausbekommen. Ryne klappte sein Notizbuch zu und fühlte sich plötzlich uralt. Die zerstörte, weinende Frau auf dem Sofa nahm sie nicht mehr wahr. Sie wurde von lebhaften Erinnerungen überschwemmt, die vielleicht nie verblassen würden.
    Der Spruch, dass die Zeit alle Wunden heilt, war kompletter Blödsinn. Ryne wusste genau, dass die Dämonen für alle Ewigkeit im Unbewussten lauern konnten und nur darauf warteten, bis man einmal die Schutzvorkehrungen lockerte, ehe sie wieder an die Oberfläche stiegen. Die Erinnerung war mitunter ein unersättliches

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