Seelenmoerder
wir uns auf den landesweiten Wettbewerb vorbereitet haben.«
Völlig plausibel, dachte Abbie, doch diese Möglichkeit brachte sie nicht weiter. »Ich habe Kopien von Ihrem Gespräch mit der Polizei. Detective Robel ist die zwei Wochen vor dem Überfall mit Ihnen durchgegangen, Ihre Gewohnheiten und die Orte, wo Sie sich damals häufig aufgehalten haben. Ich möchte Sie bitten, weiter zurückzudenken. Vielleicht einen Monat oder sechs Wochen vor dem Überfall. Oder sogar zwei Monate. Fallen Ihnen Orte ein, die Sie aufgesucht haben und an denen Sie sonst nicht sind?«
Amanda runzelte die Stirn. »Aufgesucht weshalb?«
»Egal aus welchem Grund. Ein Café. Eine Reinigung. Ein Geschäft, das Fotos entwickelt. Ein Supermarkt, in dem Sie sonst nicht einkaufen, oder ein Einkaufszentrum, in das Sie nur selten gehen.«
»Schwer, sich so weit zurückzuerinnern«, murmelte Amanda, doch man sah ihr an, dass sie sich bemühte. Schließlich fielen ihr sechs oder sieben neue Orte ein, an denen sie mit Freunden gewesen war, obwohl sie nicht sicher sagen konnte, wie lange vor der Vergewaltigung das gewesen war.
»Wie viele Leute wussten vom Strandhaus Ihrer Großeltern?« Diese Frage hatte ihr Robel bereits gestellt, doch der Schauplatz des Verbrechens ließ Abbie irgendwie keine Ruhe.
Amanda zuckte die Achseln. »Von meinen Freunden, meinen Sie? Alle. Ich … ich habe mir schon vor Jahren einen Schlüssel nachmachen lassen. Meine Großeltern nutzen das Strandhaus gar nicht so oft. Ich habe einige Partys dort veranstaltet. Sie wissen ja, wie das ist. Leute, die man kennt, bringen Leute mit, die man nicht kennt. Vermutlich war mein ganzer Jahrgang irgendwann mal dort.«
Und selbst wenn jemand lediglich von einer Party im Strandhaus gehört hatte, wäre es verhältnismäßig leicht herauszufinden, wo es lag, wenn man den Namen der Besitzer kannte.
»Es läuft alles auf eines hinaus, oder?«
Irgendetwas im Tonfall des jungen Mädchens ließ Abbie aufhorchen. Sie hob den Blick von ihrem Notizbuch. »Und zwar?«
Amandas Lippen zitterten, ehe sie sie wieder unter Kontrolle brachte. »Ich muss einfach ständig daran denken. Dass es da vielleicht einen Typen gibt, den ich nie so richtig beachtet habe. Nicht jemanden, dem ich mal einen Korb gegeben habe – von denen habe ich dem Detective erzählt. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, ich habe jemanden übersehen. Oder ausgegrenzt. Jemanden, mit dem ich kaum ein Wort gewechselt oder den ich überhaupt nicht wahrgenommen habe und der dann deswegen im Lauf der Zeit einen immer heftigeren Groll gegen mich entwickelt hat …« Ihr versagte die Stimme.
Abbie hörte Amandas Mutter auf dem Flur. Ihre Zeit war beinahe abgelaufen. »Also, in diesem Punkt täuschen Sie sich aber.« Sie stand auf und holte dem jungen Mädchen ein
Taschentuch. Amanda wischte sich die Augen und knüllte das Taschentuch fest in der Faust zusammen.
»Woher wissen Sie das?«
»Keines der anderen Opfer hat irgendetwas mit Schönheitswettbewerben zu tun oder geht in Savannah aufs College. Sie sind weder alle im selben Alter, noch haben Sie sonst viel gemeinsam. Trotzdem sind Sie alle ins Visier dieses Kerls geraten. Daraus schließe ich, dass es wahrscheinlich nichts damit zu tun hat, wie Sie sich gegenüber irgendjemandem verhalten haben, den Sie nur flüchtig kennen. Dieser Täter stellt Frauen nach, weil sie irgendwelchen Kriterien entsprechen, die nur für ihn eine Rolle spielen. Und je eher wir wissen, welche Kriterien das sind …«
Amandas Augen standen nun nicht mehr voller Tränen. Sie waren kalt und hart, als das junge Mädchen Abbies Satz zu Ende sprach: »… desto eher fassen Sie diesen Dreckskerl und ziehen ihn aus dem Verkehr.«
Abbie lächelte verhalten und nickte. »Genau.«
Zu Abbies Erleichterung saß Robel nicht an seinem Schreibtisch, als sie ins Revier zurückkam. Vormittags war ihr mehrmals aufgefallen, wie er mit grüblerischem Blick zu ihr herübergesehen hatte, doch außer sie nach ihrer Terminabsprache mit dem Glaserbetrieb zu fragen, hatte er den Einbruch mit keinem Wort erwähnt.
Ihre Bitte um eine vollständige Kopie der Ermittlungsunterlagen hatte er jedenfalls nicht vergessen. Auf ihrem Schreibtisch lag eine dicke Fächermappe, die genauso aussah wie die auf seinem.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und schaltete ihren Laptop ein. Es war eine halbe Stunde nach Schichtwechsel, doch Robel hatte bestimmt noch nicht Feierabend gemacht. Sein Jackett hing nach wie vor
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