Seelenmoerder
erzählt, dass Karen Larsen an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Ich fand, die Ähnlichkeiten reichen aus, um der Sache nachzugehen, und deshalb erzähle ich dir davon. Das ist alles.«
Ryne war hin- und hergerissen zwischen Unglauben und Ärger. Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Und so hast du beschlossen, ein bisschen Gott zu spielen und die Information erst mal für dich zu behalten. Zum Teufel damit, dass in der Zwischenzeit eine weitere Frau vergewaltigt wurde, was? Wichtig war nur, dass deine Bettgeschichte nicht auffliegt.«
»Ich erwarte nach wie vor, dass sie nicht auffliegt«, entgegnete Dixon, während er sich mit erboster Miene über den Tisch beugte. »Dass ich das Ergebnis dieser Untersuchung habe, ist illegal, aber es könnte eine Verbindung zu dem Vergewaltiger herstellen. Deshalb leite ich es an dich weiter.« Sein Mund zuckte. »Und erspar mir dein pharisäerhaftes Getue. Wir haben alle unsere Süchte, oder? Es
kann die Hölle sein, wenn sie einem im Beruf in die Quere kommen.«
Die Bemerkung traf Ryne wie ein gut platzierter Kinnhaken. Er lehnte sich zurück, während ihn eine gespenstische Ruhe überkam. Vermutlich waren das die aufrichtigsten Worte gewesen, die Dixon ihm gegenüber geäußert hatte, seit er in Savannah war. »Warum sprichst du nicht aus, was du wirklich denkst, Derek? Du willst über Boston reden. Dann lass uns reden.«
Dixon erhob sich, kramte in der Hosentasche nach Geld und warf einen Schein auf den Tisch. Im Aufstehen schlüpfte er in sein maßgeschneidertes Sakko. »Weißt du, was das Problem ist, wenn du der hellste Stern am Himmel bist, Ryne? Alle schauen auf dich, wenn du verglühst und zur Erde fällst. Ich habe deine Karriere vor der Müllhalde bewahrt, Freundchen. Wie wär’s mit ein bisschen Dankbarkeit?«
Er ging davon, während seine giftigen Worte eine Brandspur in Rynes ohnehin belastetes Gewissen ätzten. Rynes Blick fiel auf das unangetastete Whiskeyglas vor ihm, doch was er in Wirklichkeit sah, war die Vergangenheit. Deborah Hannas tote Augen. Die tadelnde Miene des Captains. Die allzu unbeteiligte Maske des Polizeipsychologen. Niemand war schuld außer ihm selbst. Und ihm blieb nichts anderes übrig, als irgendwie damit zu leben.
Ohne sich bewusst zu entscheiden, griff er nach dem Glas. Der Schnaps rann ihm brennend die Kehle hinab, nachdem er ihn auf ex gekippt hatte. Er knallte das Glas auf den Tisch, stand polternd auf und verließ das Lokal.
Tag für Tag geschahen sinnlose Tragödien, das war der traurige Lauf der Welt. Doch jene, die aus persönlichem Versagen erwuchsen, waren die bittersten von allen.
Zwei Stunden im Fitnessstudio hatten Abbies Laune nicht wesentlich verbessert, und so hatte sie es schließlich aufgegeben, geduscht und sich wieder angezogen. Wenn fünf Durchgänge im Kraftraum und eine anstrengende Stunde im Ring nicht ausreichten, um sich von den Ermittlungen abzulenken, half gar nichts mehr.
In ihr leeres Haus zog sie nichts. Obwohl sie ihren Beruf liebte, empfand sie die ständigen Umzüge und die damit einhergehenden unpersönlichen Wohnverhältnisse als dessen gravierendste Nachteile. Sie hatte lange gespart, um ein kleines, bewaldetes Anwesen in Virginia zu erstehen, und das Haus im Lauf der Jahre ihrer Persönlichkeit entsprechend eingerichtet. Nach und nach hatte sie es mit Antiquitäten und Ethnokunst-Objekten gefüllt, die sie auf Reisen durch Virginia und seine Nachbarstaaten in originellen Geschäften entdeckt hatte. Das Ergebnis war ein heiteres, gemütliches Heim, der einzige Ort, wo sie sich wirklich zu Hause fühlte.
Schon lange wusste sie, dass das ständige Reisen erträglicher wurde, wenn sie ein paar ihrer Lieblingsstücke einpackte und in ihr neues Umfeld mitnahm. Doch auch diese Gegenstände genügten nicht, um sie in das fremde Haus zu locken, denn dort nähmen sie sofort wieder ihre Tabellen gefangen – die selbst erstellten Koordinatensysteme und Diagramme, die jede Einzelheit des Falls minutiös auflisteten und ihr helfen sollten, dem Täter auf die Schliche zu kommen.
Und sobald sie an den Fall dachte, dachte sie unweigerlich wieder an Ryne.
Um sich abzulenken, steuerte sie die historische Altstadt an. Eine Stunde lang fuhr sie durch Straßen mit moosbewachsenen Eichen, bewunderte kunstvolle Schmiedearbeiten und verschiedenste Architekturstile und schaffte so das,
was das Training nicht hatte bewirken können. Im Angesicht von über zwei Jahrhunderten Geschichte konnte man
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