Seelennacht
Sie bringen Menschenfresser um und scheinen von Menschenjägern auch nicht so begeistert zu sein. Ist es das, was du dir überlegt hast? Dass du zu denen gehen kannst und sie dir vielleicht helfen? Als ich gefragt habe, ob du diesen zwei Idioten zugehört hast – das war der Teil, den ich gemeint habe, das mit dem Rudel. Was sie mit dir machen würden. Werwölfe mit Kettensägen umbringen und dieses Zeug.«
Derek schnaubte.
»Du glaubst’s also auch nicht.« Ich nickte. »Niemand würde das machen. Jemanden mit der Kettensäge zerlegen und die Fotos rumgehen lassen? Die Typen wollten dir bloß einen Schreck einjagen.«
»Nein, ich bin mir sicher, es gibt solche Fotos. Und ich bin mir sicher, die beiden Typen
glauben,
dass das Rudel jemanden zersägt hat. Aber die Fotos müssen gefälscht sein. Man kriegt so was doch mit Effekten und Make-up hin, oder?«
»Natürlich, aber wozu?«
»Aus dem Grund, den du gerade genannt hast. Leuten einen Schreck einjagen. Liam und Ramon glauben, das Rudel macht so was wirklich, also machen sie einen Bogen um das Rudelterritorium. Hört sich nach keiner schlechten Idee an.«
»Aber wärst du jemals von selbst auf so eine Idee gekommen?«
Der angewiderte Blick war wieder da. »Natürlich nicht.«
»Aber du hast erwogen, dein Leben Leuten anzuvertrauen, die’s vielleicht tun? Werwölfen, die Richter und Henker für ihre eigenen Leute spielen? Andere Werwölfe foltern und umbringen? Und in diesem Wissen wärst du da hingegangen, hättest behauptet, Menschen umgebracht zu haben, und gehofft, sie würden nicht zu übel reagieren, weil du noch jung bist? Oder waren dir die Aussichten einfach gut genug? Wenn die entscheiden, dass du es nicht verdienst zu leben, dann haben sie ja vielleicht recht?« Ich hatte es sarkastisch gemeint. Aber als seine Antwort auf sich warten ließ – viel zu lang –, begann mein Herz zu hämmern. »Derek!«
Er warf das nasse Papiertuch weg. »Nein, ich will nicht sterben, okay?«
»Das will ich hoffen.«
»Ich will nicht, Chloe«, sagte er leise. »Ich mein’s ernst. Absolut nicht.«
Unsere Augen trafen sich, und die in meinem Kopf schwirrende Panik veränderte sich, wurde zu etwas anderem. Mein Herz hämmerte immer noch, meine Kehle wurde trocken …
Ich wandte den Blick ab und murmelte: »Gut.«
Er drehte sich weg. »Wir müssen los.«
Ich nickte und rutschte vom Waschtisch.
[home]
36
I ch gab Derek meine Jacke, und er zog sie ohne Widerspruch an – sie verdeckte die Blutspritzer auf seinem Sweatshirt. Als wir aus der Toilette traten, nahmen uns die Leute am Tresen schließlich doch noch zur Kenntnis, aber nur, um uns zuzurufen, dass die Toiletten für zahlende Gäste da waren.
Der Laden hatte zum Winterende Thermoskannen mit dem aufgedruckten Schriftzug der Kette im Sonderangebot, und Derek ließ sich eine davon mit heißer Schokolade füllen und bekam zwei Pappbecher dazu. Noch ein halbes Dutzend Donuts, und für das Abendessen war gesorgt.
Aber wir konnten nicht einfach zur Bushaltestelle zurückspazieren. Liam dürfte immer noch auf der Suche nach uns sein, Ramon war es inzwischen vielleicht auch. Wenn sie uns schon früher gefolgt waren, dann mussten sie wissen, dass wir bei der Bushaltestelle gewesen waren, und würden vielleicht dort auf uns warten.
Also hielten wir uns windabwärts oder hinter Gebäuden und warteten einen halben Straßenblock entfernt, bis wir den Bus kommen sahen. Von den Werwölfen war nichts zu sehen. Sicherlich war es hilfreich, dass es nur eine Haltestelle und kein Busbahnhof war, denn wenn sie unsere Fährte zu dem Blumenladen verfolgt hatten, waren sie vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen, dass wir dort gewesen waren, um Fahrkarten zu kaufen.
Trotzdem entspannte ich mich erst, als der Bus schließlich anfuhr. Ich war beim zweiten Becher Schokolade, als mir die Augen zufielen.
»Du solltest ein bisschen schlafen«, sagte Derek.
Ich verschluckte ein Gähnen. »So lang fahren wir gar nicht, oder? Anderthalb Stunden?«
»Fast das Doppelte. Wir sitzen im Lumpensammler.«
»Im was?«
»Der Spätbus, der sämtliche kleinen Orte abklappert«, erklärte er und nahm mir den leeren Becher aus der Hand.
Ich rutschte herum und versuchte, es mir bequemer zu machen, während Derek das Sweatshirt zusammenknüllte, das ich ausgezogen hatte, und es sich über die Schulter legte.
»Nur zu«, sagte er, »ich beiße nicht.«
»Nach allem, was ich gehört habe – was für ein Glück.«
Er gab ein
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