Seelennacht
fischte nach dem Messer, aber es blieb in den Falten meiner Tasche hängen. Als ich es endlich herausgezerrt hatte, hatte Derek längst zurückgeschlagen, und jetzt wälzten sie sich über den Boden und versuchten, den anderen zu packen.
Wie viele Zweikampfszenen hatte ich im Film gesehen? Ich hatte sogar ein paar geschrieben. Aber als ich jetzt dabeistand und zusah, während jemand, den ich kannte, ernstlich in Gefahr war, kamen mir diese Filmszenen vor, als wären sie in Zeitlupe aufgenommen worden. Im Moment nahm ich nichts wahr als wirbelnde Fäuste und Füße und Grunzen und Keuchen und Blut. Vor allem sah ich das Blut, es spritzte und tropfte und sprühte, während ich hin und her schoss, das Messer in der Hand.
Ich dachte an all die Gelegenheiten, bei denen ich im Kino gesessen und mich über die nutzlose, dumme Tussi aufgeregt hatte, die in der Nähe des Zweikampfs herumhängt, eine Waffe in der Hand, aber ohne etwas zu tun, und zusieht, wie der Held verprügelt wird. Ich wusste, dass ich Derek helfen musste. Ich wusste, dass er in Schwierigkeiten war, dass der größte Teil des Blutes und des Keuchens und Grunzens von ihm stammte. Ich hatte keine Angst, das Messer einzusetzen. Ich
wollte
es einsetzen. Aber es gab ganz einfach keine Gelegenheit dazu. Die Fäuste flogen, und die Körper flogen, und die Tritte flogen, und jedes Mal, wenn ich glaubte, einen Angriffspunkt zu sehen, stürzte ich vor, nur um Derek vor mir zu haben und nicht Liam, und dann wich ich hastig zurück, um nicht
ihn
zu verletzen.
Dann hatte Liam Derek auf den Knien und im Schwitzkasten, die freie Hand in Dereks Haaren. Er riss Dereks Kopf nach hinten, und ich sah das Mädchen vom Rasthof mit der aufgeschlitzten Kehle vor mir. Ich überlegte nicht, ob ich es tun konnte, sondern rannte auf Liam zu und stieß ihm das Messer von hinten in den Oberschenkel, rammte es bis zum Griff hinein.
Liam heulte auf, schlug mit dem Handrücken zu, und ich segelte nach hinten, das Messer immer noch fest in der Hand. Ich hörte Derek meinen Namen brüllen, als ich gegen die Wand prallte. Mein Kopf schlug rückwärts gegen die Backsteinmauer, und die Lampe über mir schien zu einem Funkenregen zu zerbersten. Bevor ich auf dem Boden landete, packte Derek mich.
»A-alles in Ordnung«, sagte ich, während ich mich losmachte. Ich fand mein Gleichgewicht, torkelte etwas und gewann es zurück. »Alles in Ordnung«, sagte ich mit mehr Nachdruck.
Ich sah mich um. Das Messer war neben mir auf dem Boden gelandet. Ich hob es auf.
Liam lag hinter Derek am Boden, krümmte sich und fauchte, während er versuchte, die Blutung zu stillen. Wir rannten los.
Dieses Mal war niemand hinter uns her, aber es machte keinen Unterschied. Wir rannten weiter in dem Wissen, dass Liam uns verfolgen würde, sobald er dazu in der Lage war.
»Wir müssen ein Bad für dich finden«, sagte Derek, während wir um ein Gebäude bogen.
»Für mich? Ich bin doch …«
»Wir
müssen
für dich ein Bad finden.«
Ich klappte den Mund zu. Derek stand unverkennbar unter Schock, denn
er
brauchte ein Bad, um sich zu säubern und seine Verletzungen zu begutachten.
»Er wird unserer Fährte folgen«, sagte ich. »Wir werden ihn täuschen müssen.«
»Ich weiß. Bin am Nachdenken.«
Ich war es ebenfalls. Ich rief mir jeden Film ins Gedächtnis, den ich je gesehen hatte, in dem jemand Spürhunden hatte entkommen müssen. Ich wurde langsamer, als ich eine riesige Pfütze sah, die der Regen und ein von Müll verstopfter Gully hinterlassen hatten. Die Wasserfläche war mindestens drei Meter breit. Bei dem Anblick kam mir eine Idee.
»Steig auf den Bordstein und geh an der Kante entlang«, sagte ich.
»Was?«
»Mach’s einfach.«
Wir trabten den Bordstein entlang, bis ich die Tür zu einem kleinen Wohnhaus sah. Ich führte Derek hin und drehte am Knauf. Abgeschlossen.
»Kannst du das aufbrechen?«, fragte ich.
Er wischte sich die blutigen Hände ab und packte den Knauf. Ich versuchte, ihn mir genauer anzusehen, herauszufinden, wie übel er verprügelt worden war, aber es war zu dunkel, und ich sah lediglich überall Blutspritzer – an seinem Gesicht, seinen Händen, seinem Sweatshirt.
Er riss die Tür auf. Wir gingen hinein, gingen ein paar Mal herum und gingen wieder hinaus.
»Jetzt gehen wir genau da entlang zurück, wo wir hergekommen sind«, sagte ich. »Den Bordstein entlang.«
Als wir die Pfütze erreicht hatten, blieb ich stehen. »Und jetzt quer da durch.«
Derek nickte.
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