Seelennacht
Rippen?«
»Paar blaue Flecke vielleicht, nichts Ernstes.«
»Sweatshirt aus.«
Er seufzte, als wäre nun
ich
diejenige, die wegen nichts und wieder nichts Theater machte.
»Wenn ich gehen soll, damit du’s dir in Frieden ansehen kannst …«
»Ach was.«
Er zog sich das Sweatshirt über den Kopf und legte es zusammengefaltet neben mich auf den Waschtisch. Unterhalb des Halsbundes war kein Blut zu sehen, aber der Bund selbst war gesprenkelt, weil es ihm von Nase und Kinn getropft war. Ich nehme an, das ist normal, wenn man mit Fäusten und nicht mit Waffen kämpft. Derek sagte, die Rippen der rechten Seite wären empfindlich, aber um ehrlich zu sein – ich hätte zwischen einer Prellung und einem Bruch sowieso nicht unterscheiden können. Er atmete normal, das war das Wichtigste.
»Okay, deine Nase. Ist die gebrochen? Tut es weh?«
»Selbst wenn sie gebrochen wäre, es gäbe nichts, was man da machen könnte.«
»Lass mich mal deine Augen ansehen.«
Er maulte, weigerte sich aber nicht. Der blutunterlaufene Augenwinkel wurde schon wieder heller, und ich sah dort keine Verletzungen. Ein blaues Auge allerdings war unvermeidlich. Als ich ihm das mitteilte, grunzte er nur. Ich machte ein frisches Papiertuch nass.
»Du hast Dreck an der Backe. Lass mich mal …«
»Nein.«
Er fing meine Hand ab, bevor ich sein Gesicht berühren konnte. Dann nahm er mir das Tuch ab und beugte sich über das Waschbecken, um sich den Dreck selbst aus dem Gesicht zu wischen. Ich versuchte, allein beim Zusehen nicht zusammenzuzucken. Der grobe Sand hatte ihm die Haut übel zerschürft.
»Das wird sich jemand ansehen müssen.«
»Yeah.« Er studierte sein Gesicht mit ausdrucksloser Miene im Spiegel, bis er merkte, dass ich ihn beobachtete. Dann wandte er sich ab und trat vom Spiegel zurück. Ich reichte ihm das nächste nasse Papiertuch, und er wischte sich die kleinen Sprenkel von getrocknetem Blut vom Hals.
»Hast du das Deo noch?«, fragte er.
Ich fischte es aus der Jackentasche und stellte es auf den Waschbeckenrand. Er wischte weiter.
»Auf dem Spielplatz«, sagte ich, »als du mit denen verhandelt hast – das war nicht ernst gemeint, oder? Mit ihnen mitzukommen? Du hast nur geblufft, oder?«
Das Schweigen dauerte viel zu lang.
»Derek?«
Er sah nicht auf, streckte nur den Arm aus und nahm sich das nächste Papiertuch, den Blick abgewandt.
»Hast du
irgendwas
von dem mitgekriegt, was die gesagt haben?«, fragte ich.
»Über was?« Er hielt den Blick auf das Papiertuch gerichtet, während er es sorgfältig zusammenfaltete und dann in den Eimer warf. »Menschen jagen zum Spaß? Menschen fressen?« Die Bitterkeit in seiner Stimme war geradezu schneidend. »Yeah, den Teil hab ich gehört.«
»Das hat aber nichts mit dir zu tun.«
Er hob den Blick, aber seine Augen verrieten nichts. »Nein?«
»Nicht, wenn ein Werwolf zu sein nicht gerade bedeutet, dass man zu einem Wolf
und
einem geistig beschränkten Schläger wird.«
Er zuckte mit den Schultern und riss weitere Tücher von der Rolle.
»
Willst
du Menschen jagen, Derek?«
»Nein.«
»Denkst du drüber nach?«
»Nein.«
»Wie ist es damit, sie zu fressen? Denkst du
darüber
nach?«
Er warf mir einen angewiderten Blick zu. »Natürlich nicht.«
»
Träumst
du auch nur manchmal davon, Leute umzubringen?«
Er schüttelte den Kopf. »Bloß Wild, Kaninchen.« Als ich die Stirn runzelte, fuhr er fort: »Die letzten paar Jahre habe ich manchmal geträumt, ich wäre ein Wolf. Würde durch den Wald rennen. Wild und Kaninchen jagen.«
»Eben. Wie ein
Wolf,
nicht wie ein menschenfressendes Monster.«
Er hielt das nächste Papiertuch unters Wasser.
»Warum solltest du dich von diesen Typen also …« Ich unterbrach mich. »Das Rudel. Ist es das, was du gewollt hast? Ihnen sagen, du kommst mit, und wenn sie mich gehen gelassen haben, dem Rudel die Wahrheit sagen und es als so eine Art Vorstellungsgespräch verwenden? Sie kennenlernen? Zu deinen eigenen Leuten stoßen?«
»Nein. Das ist mir nicht wichtig. Dad sagt, bei anderen Werwölfen ist das anders. Den anderen Jungen war es wichtig – die haben jeden gehasst, der nicht zu uns gehört hat. Ich? Ist mir egal. Der einzige Grund, warum ich gern einen Werwolf kennenlernen würde, ist der Gleiche, aus dem du gern einen Nekromanten treffen würdest. Reden, ein paar Tipps kriegen, Training, was auch immer. Vorzugsweise von einem, der es nicht für ein tolles Hobby hält, Menschen zu jagen.«
»Wie dieses Rudel.
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