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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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still.«
    »Simon und Tori schlafen wahrscheinlich«, sagte ich, aber ich senkte die Stimme und sah mich um. Seine Nervosität war ansteckend.
    Als wir den gepflasterten Gartenweg erreichten, ging Derek in die Hocke und senkte den Kopf, bis sein Gesicht nur noch dreißig Zentimeter vom Boden entfernt war. Ich hätte ihm gern gesagt, er sollte einfach an die Tür klopfen, dann würden wir ja erfahren, ob sie hier waren oder nicht, er sollte aufhören, so paranoid zu sein, aber ich hatte gelernt, dass etwas, das ich früher für paranoid gehalten hätte, in diesem neuen Leben einfach vernünftige Vorsicht war.
    Einen Moment später nickte er, und seine verspannten Schultern schienen sich etwas zu lockern, als er aufstand.
    »Simon ist hier?«, fragte ich.
    »Und Tori.«
    Er warf einen letzten langen Blick in die Runde, fast widerwillig, als wünschte er sich ebenso sehr wie ich, einfach zur Haustür hinaufzurennen. Dann gingen wir den Pfad entlang, die Steinplatten quietschten unter unseren nassen Gummisohlen.
    Derek war immer noch so beschäftigt damit, die Bäume zu beobachten, dass ich es dieses Mal war, die ihn am Arm packen musste, um ihn zurückzuhalten. Ich zeigte auf das Haus vor uns.
    Die Haustür war angelehnt.
    Derek fluchte. Dann atmete er tief ein, als versuchte er, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Er gab mir ein Zeichen, hinter ihm zu bleiben, schien es sich dann aber anders zu überlegen und winkte mich neben der Haustür an die Mauer.
    Als ich aus dem Weg war, stieß er die Tür vorsichtig ein paar Zentimeter weit auf. Dann noch etwas weiter. Ein dritter Stoß, und er fing einen Geruch auf, seine Nasenflügel blähten sich. Ich sah, dass er verwirrt die Augenbrauen zusammenzog.
    Einen Moment später roch ich es ebenfalls. Ein kräftiger, bitterer Geruch, sehr vertraut … »Kaffee«, formte ich mit den Lippen. Er nickte. Das war es – verbrannter Kaffee.
    Er stieß die Tür weiter auf. Ich drückte mich mit dem Rücken an die Mauer und kämpfte gegen das Bedürfnis an, selbst einen Blick ins Innere zu werfen. Stattdessen beobachtete ich, wie sein Blick durch den Raum glitt. Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er nichts Ungewöhnliches sah. Trotzdem sollte ich bleiben, wo ich war, während er eintrat. Jetzt begann ich wirklich zu zappeln, trommelte mir auf die Oberschenkel, krümmte die Zehen in den Schuhen und hörte mein Herz hämmern. Ich wünschte mir, die Art Mädchen zu sein, die immer einen Taschenspiegel dabeihat – so hätte ich wie in diesen Agentenfilmen beobachten können, was um die Ecke passierte.
    Als ich mich etwas zu dicht an die Türöffnung heranschob, meldete sich meine innere Stimme zu Wort und teilte mir mit, dass ich mich dumm aufführte. Der Typ mit den bionischen Sinnen war für das hier sehr viel besser ausgestattet als ich.
    Endlich kam Derek rückwärts wieder heraus. Er deutete auf meine Tasche und imitierte mit der Hand das Öffnen eines Schnappmessers. Ich holte das Messer heraus. Mit einer Handbewegung verdeutlichte er mir, hinter ihm zu bleiben. Die Nachdrücklichkeit seiner Geste und sein finsterer Blick ließen mich nicht daran zweifeln, dass er es ernst meinte. Ich nickte.
    Wir traten ein. Hinter der Haustür lag ein kleiner Flur mit einem Einbauschrank, von dem man ins Wohnzimmer gelangte. Ein paar Briefe lagen vor der Schranktür auf dem Boden verstreut. Ich nahm zunächst an, sie seien durch einen Briefschlitz geworfen worden, aber ein Blick auf die Tür sagte mir, dass es keinen gab. Dann fiel mir ein, dass ich am Ende der langen Zufahrt einen Briefkasten gesehen hatte. In einer Ecke des Flurs stand ein kleiner Tisch, auf dem Werbeprospekte lagen.
    Derek schob sich weiter vorwärts, in den Wohnraum hinein. Ich beeilte mich, ihn einzuholen, bevor ich den berühmten »Trödel nicht«-Blick zu sehen bekam.
    Das Zimmer war klein und gemütlich, genau wie man es in einem solchen Haus erwartet hätte. Auf den Sesseln und dem Sofa türmten sich nicht zusammenpassende Kissen. Über jeder Lehne hing eine sauber zusammengelegte Wolldecke. Die oberen Platten der diversen Tische waren leer, aber auf den Ablagen darunter türmten sich Zeitschriften, und die beiden Bücherregale brachen fast zusammen. Die eine helle Lampe, die wir bereits von draußen gesehen hatten, war das einzige elektrische Gerät weit und breit – kein Fernseher, kein Computer, keinerlei technisches Spielzeug. Ein altmodisches Wohnzimmer, dazu bestimmt, dass man ein Kaminfeuer anzündete

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