Seelennacht
erwartet hätte.
Als er mich ansah, verblasste sein Lächeln, und die Furche zwischen seinen Brauen wurde tiefer, als käme ich ihm irgendwie bekannt vor, könne mich aber nicht recht einordnen. Er machte Anstalten, etwas zu sagen, unterbrach sich dann und sah rasch auf.
»Da kommt jemand.«
Simon sah sich nach dem näher kommenden Schatten um, groß, aber lautlos in seinen Bewegungen. »Derek.«
»Nein, das ist nicht …«, begann Andrew.
Derek trat in den Schein der Lichtung, Andrew sah zu ihm auf und blinzelte verblüfft. Er starrte ihn an, als versuchte er, den Jungen wiederzuerkennen, den er gekannt hatte, und könnte ihn nicht finden.
Hinter der Überraschung in seinen Augen sah ich noch etwas anderes, eine Spur von Besorgnis, vielleicht sogar von Furcht, als sähe er in diesem Moment nicht den Sohn seines Freundes, sondern einen großen, kräftigen jungen Werwolf. Er zwang die Furcht zurück, aber nicht schnell genug. Derek hatte sie gesehen, und sein Blick glitt zur Seite, Schultern und Kiefermuskeln spannten sich, als wollte er sagen, dass es in Ordnung war, dass es ihm nichts ausmachte. Aber ich wusste, es machte ihm etwas aus.
»Du bist … gewachsen.« Andrew versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht wirklich, was für Derek noch schlimmer zu sein schien als die Furcht.
Derek wandte den Blick ganz ab und murmelte: »Yeah.«
Simon zeigte mit einer Handbewegung auf mich. »Das ist …«
»Lass mich raten. Diane Enrights Tochter.«
Ich schüttelte den Kopf. »Chloe Saunders.«
»Es sind die Haare«, erklärte Simon. »Sie ist blond, aber wir haben’s färben müssen, weil …«
»Später«, sagte Derek und sah dann wieder Andrew an. »Sie haben das Enright-Mädchen. Victoria.«
Andrew runzelte die Stirn. »Bist du dir sicher?«
Simon nahm mir das Funkgerät aus der Hand und schwenkte es. »Chloe hat ihnen das hier abgenommen. Wir haben gehört, dass du geflohen bist und dass sie Tori erwischt haben.«
»Dann gehe ich sie holen. Ihr drei, geht schon vor zum Auto.« Er sagte uns, wo wir es finden würden, und machte Anstalten zu gehen.
»Ich komme mit«, sagte Derek. »Ich finde sie schneller als du.«
Andrew sah aus, als wollte er widersprechen, aber ein Blick in Dereks Gesicht machte ihm klar, dass es zwecklos sein würde. Also ließ er sich von mir das Funkgerät geben und schickte uns zum Auto.
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42
W ir fanden das Auto, einen alten Geländewagen, hinter einer Scheune in der Nachbarschaft versteckt. Die Tür stand offen. Die Zündung war mit einem Stück Metall kurzgeschlossen worden. Simon sah sich die Sache an, um herauszufinden, ob er den Motor anwerfen konnte, als drei Gestalten aus dem Wald gestürzt kamen – Derek, Andrew und Tori.
Simon und ich rissen die vorderen Türen auf und stiegen hinten ein. Derek nahm den Beifahrersitz, Tori schob sich neben mich auf die Rückbank.
»Das war ja eine schnelle Rettungsaktion«, sagte Simon, als Andrew den Motor anließ.
»War keine Rettung nötig«, bemerkte Tori. »Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
Derek murmelte etwas davon, dass er sich das fürs nächste Mal merken würde, bevor er sein Leben aufs Spiel setzte, um ihr zu helfen.
Während sich der Wagen in Bewegung setzte, fragte ich Tori, was eigentlich passiert war. Sie war gefangen worden, und man hatte sie zunächst mit zwei Bewachern zurückgelassen, während die anderen nach uns gesucht hatten. Als die Lage dann immer unübersichtlicher geworden war, hatten sie nur noch einen Aufpasser bei ihr gelassen.
»… Und einen praktischen kleinen Bindezauber später hatten sie dann ihre letzte Geisel verloren.«
»Man sollte doch meinen, die hätten mit deinen Formeln rechnen müssen«, bemerkte Derek.
»Na ja, anscheinend haben sie mich unterschätzt«, sagte sie.
Derek grunzte. Simon wollte irgendwas fragen, aber Andrew bedeutete uns, ruhig zu sein, während er das Auto über eine unebene Wiese lenkte. Er ließ die Scheinwerfer aus und fuhr langsam.
Simon setzte sich neben mir zurecht und versuchte, es sich auf dem Rücksitz etwas bequemer zu machen. Seine Hand streifte mein Bein, fand meine Finger und griff nach ihnen. Als er mir zulächelte, lächelte ich zurück.
Ich erwartete, dass es auf den üblichen ermutigenden Druck hinauslaufen und er dann wieder loslassen würde, aber er schien mein Lächeln als eine Art Einladung aufzufassen, flocht die Finger in meine und ließ sie auf meinem Oberschenkel liegen. So müde ich auch war – den Kopf voller
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