Seelennacht
Fragen, während mir das Adrenalin noch durch die Adern strömte –, ich spürte, wie ein kleiner Stromstoß durch mich hindurchschoss. Albern, nehme ich an. Ein Riesending draus machen, dass wir Händchen hielten? Wie eine Fünftklässlerin.
Ich war mir sicher, dass es für Simon wirklich keine große Sache war. Er war zwar nicht gerade der erste Typ, der meine Hand hielt, aber … sagen wir einfach, meine Erfahrungen mit Jungen gingen nicht weiter als bis zu diesem Punkt.
Die Stromstöße ebbten langsam ab, als wir die Straße erreichten und Andrew die Scheinwerfer einschaltete. Er erkundigte sich, ob mit uns alles in Ordnung war, und die erste Frage, die aus meinem Mund kam, lautete: »War meine Tante Lauren bei Ihnen?«
Sein Blick traf im Rückspiegel auf meinen, und ich sah ihn die Stirn runzeln.
»Lauren Fellows. Sie arbeitet bei …«
»Ich kenne deine Tante, Chloe, aber nein, sie war nicht hier.«
»Chloe hat gedacht, sie hätte sie gesehen«, erklärte Derek.
Simon drehte sich um, um mir ins Gesicht sehen zu können. »Was?«
»Ich – ich hab jemanden gesehen. Es hat sich nach ihr angehört und hat ein bisschen wie sie ausgesehen, nach dem, was ich im Dunkeln habe sehen können …«
»Hast
du
sie gesehen?«, wollte Simon von Derek wissen.
»Er nicht«, sagte ich. »Und er hätte sie sehen sollen, weil sie nämlich direkt an ihm vorbeigerannt ist.«
»Dann hast du einen Geist gesehen«, schlussfolgerte Tori. »Und gedacht, es wäre deine Tante.«
»Eine Formel, sehr viel wahrscheinlicher«, sagte Derek. »Die haben solches Zeug, stimmt’s, Andrew?«
»Klar. Blendwerkformeln und andere Illusionen. Wenn du sie nicht genauer gesehen hast, dann war das wahrscheinlich beabsichtigt – derjenige, der die Formel gesprochen hat, wollte nicht, dass du dir die Illusion zu genau ansiehst.«
Es klang vollkommen logisch, aber ich konnte das instinktive Gefühl nicht abschütteln, dass ich sie eben doch gesehen hatte. Nicht Tante Lauren, sondern ihren Geist.
Simon beugte sich zu mir herüber und flüsterte mir tröstliche Dinge zu – sie würden Tante Lauren nicht umbringen, sie war einfach zu wertvoll.
»Was macht dein Arm?«, fragte Derek, als ich zu lange nichts gesagt hatte, weil ich mit meinen eigenen Befürchtungen beschäftigt war.
»Hast du die Naht aufgerissen?«, fragte Simon.
»Nein«, erklärte Derek, »eine Kugel hat sie gestreift.«
»Eine
Kugel?
«
Andrew fuhr an den Straßenrand und trat auf die Bremse. »Die haben dich angeschossen?«
»Nein, nein. Es ist bloß ein Kratzer.«
Andrew zögerte, aber ich versicherte ihm – und Simon –, dass mir nichts fehlte, und Derek bestätigte, dass die Kugel nur durch den Ärmel gegangen war und kaum die Haut gestreift hatte.
Andrew fuhr wieder auf die Straße. »Wir säubern die Wunde beim nächsten Halt. Ich glaub’s einfach nicht, dass die …« Er schüttelte den Kopf.
»Hey, ich hab mir die Handfläche zerkratzt«, sagte Tori. »Die Haut ist ziemlich runter.«
»Chloes genähten Arm sollten wir uns auch ansehen«, sagte Derek. »Sie hat sich vor ein paar Tagen an einem kaputten Fenster geschnitten, sie haben es versorgt, aber wir sollten einen Blick drauf werfen.«
Tori schwenkte die verletzte Hand. »Hallo? Irgendwer da? Hallo?« Sie verdrehte die Augen. »Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Oh, das sieht wirklich ziemlich heftig aus«, sagte ich zu Tori. »Wir sollten auf jeden Fall Jod drauftun.«
Sie schenkte mir ein schiefes Lächeln. »Auf dich ist doch immer Verlass, stimmt’s? Ich nehme mal an, ich weiß, wer die Kavallerie geschickt hat, um mich zu retten.«
»Dabei brauchst du ja gar nicht gerettet zu werden, oder?«, stichelte Simon.
»Es ist der Gedanke, der zählt.«
»Wir hätten dich nicht dort zurückgelassen, Victoria.« Andrew sah sich nach ihr um. »Tori, richtig?«
Sie nickte.
Er lächelte ihr zu. »Es ist gut, dich und Simon zusammen zu sehen.«
»Oha. Nein«, sagte Simon. »Wir sind
nicht
zusammen.«
Tori bestätigte dies mit ebenso viel Nachdruck.
»Nein, ich meine damit nur …« Im Spiegel sah ich, wie Andrews Blick zwischen Simon und Tori hin und her ging. »Ich, äh, ich meine, euch alle vier. Ich bin froh, euch zusammen zu sehen. Das ist etwas, bei dem Kit und ich uns einig waren – dass die Gruppe einen Fehler gemacht hat, als sie beschloss, ihre Versuchspersonen getrennt zu halten.«
»Sie haben also auch für sie gearbeitet?«, fragte ich. »Für die Edison Group?«
Simon nickte.
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