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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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dranzukommen
interpretierte.
    »Ich hab Alpha eins gefunden«, sagte eine Männerstimme, so leise, dass ich sie kaum verstand.
    Simon bedeutete Derek, er sollte die Lautstärke höher drehen, aber Derek schüttelte den Kopf. Er selbst hörte bestens, es war also nicht nötig, mehr Lärm zu riskieren.
    »Wo ist er?«, fragte eine Frauenstimme über das Funkgerät.
    »K. o. Sieht aus, als hätte er sich auf ein paar Runden mit unserem jungen Werwolf eingelassen.«
    »Bringt ihn in Sicherheit. Team Delta hat das Enright-Mädchen, ja?«
    Ich warf einen schnellen Blick zu Derek, aber sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. Er konzentrierte sich aufs Zuhören.
    »Delta zwei, ja. Ich weiß nicht, wie viel sie als Köder taugt. Ich hab Delta eins losgeschickt, Carson aus dem Auto zu holen.«
    Das immerhin erregte Dereks Aufmerksamkeit. Simon formte mit den Lippen das Wort »Andrew«. Die Stimmen entfernten sich, aber ein paar Sekunden später hörten wir die Frau über Funk wieder sprechen. Sie rief Delta zwei. Eine Männerstimme meldete sich.
    »Hast du Carson?«, fragte sie.
    »Bin fast da.«
    »Gut. Du bist dafür verantwortlich, ihn dazu zu überreden, dass er diese Teenager ruft. Er soll sie uns ranlocken.«
    »Wird er nicht.«
    »Ich erwarte nicht, dass er’s freiwillig macht«, schnappte sie, »aber in Anbetracht der Umstände wird er tun, was wir sagen, und wenn er sich weigert, dann erschieß ihn eben.«
    Simons Kopf schoss hoch, seine Augen waren dunkel vor Sorge. Delta zwei meldete sich wieder zu Wort. »Äh, hat jemand den Truck weggefahren?«
    »Was?«
    »Den Truck. Mit Carson. Er ist, ähm, nicht da.«
    Der Streit, der sich jetzt entwickelte, wurde laut genug, dass Derek die Hand über den Lautsprecher des Funkgeräts legte, um das Geräusch zu dämpfen. Sie verbrachten die nächsten paar Minuten damit, sich zu vergewissern, dass Delta zwei sich an der richtigen Stelle befand und dass niemand sonst das Auto und Andrew weggebracht hatte. Aber es schien keine einfache Erklärung zu geben. Ihre Geisel war fort – mit dem Geländewagen.
    »Dann ist Andrew also in Sicherheit. Was ist mit Tori?«, fragte ich, als das Funkgerät verstummte.
    Sekundenlang sagte Derek nichts, was besser war als das, was ich erwartet hatte – ein kurz geschnapptes
Was soll mit der sein?
So bereitwillig er vor ein paar Tagen noch gesagt hatte, Tori könne seinetwegen vor einen fahrenden Bus laufen, so schwierig war es jetzt, sie im Stich zu lassen, wenn wir wussten, dass sie in Gefahr war.
    »Ich sehe mal nach«, sagte er. »Wenn ich sie finde, okay.«
    Den Rest sprach er nicht laut aus, aber ich verstand.
Wenn ich sie nicht finde, werden wir sie zurücklassen müssen.
So schrecklich das klang, es war die richtige Vorgehensweise. Ich wollte nicht, dass sich Derek wegen Tori einer Gewehrkugel aussetzte. Auch heftig, sich das einzugestehen. Schließlich hasste ich Tori nicht, ich empfand nicht einmal mehr eine wirkliche Abneigung gegen sie. Aber wenn es um die kalte, harte Entscheidung ging, ob ich ein Leben riskiert hätte, um Tori zu retten, dann hätte ich es nicht tun können. Weder Dereks noch Simons noch mein eigenes. Und dieses Wissen würde mir noch lange Zeit zusetzen.
    »Sei vorsichtig und …« Die Worte, die mir noch auf der Zunge lagen, waren »mach’s kurz«, aber so gefühllos konnte ich nicht sein – allein die Tatsache, dass ich es dachte, schockierte mich. Also schluckte ich und wiederholte: »Sei vorsichtig.«
    Derek allerdings ging nicht. Wir gingen. Er ließ uns zuerst aufbrechen, damit er weiterhin Wache halten konnte. Sobald wir sicher bei der Straße waren, würde er sich auf die Suche nach Tori machen.
    Wir hatten es etwa zwanzig Schritte weit geschafft, als sich uns eine Gestalt in den Weg stellte. Simons Finger flogen nach oben.
    »Simon, ich …«, begann der Mann, seine Worte endeten in einer Art
Uff!
, als die Formel ihn erwischte und rückwärts zu Boden schleuderte.
    »Andrew!« Simon stürzte vorwärts.
    Der Mann stand auf und klopfte sich mit einem schiefen Lächeln den Dreck von der Hose. »Ich seh schon, deine Rückstoßformel ist besser geworden.«
    Andrew war nicht viel größer als Simon, aber er war breitschultrig und untersetzt, mit rundem Gesicht und schiefer Nase. Sein kurzgeschnittenes Haar war grau, obwohl er nicht viel älter sein konnte als mein Dad. Er sah aus wie ein Preisboxer im Ruhestand – nicht gerade das, was ich nach dem behaglichen, ordentlichen kleinen Haus

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