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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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liegt, gleich hinter dieser …
    Ich schüttelte mich, stand auf und streckte die Beine. Ich scharrte mit meinen Schuhen etwas lauter über die Pappe, als unbedingt nötig gewesen wäre, in der Hoffnung, dass Tori aufwachen würde. Sie tat nichts dergleichen.
    Ich atmete hörbar aus. Bisher hatte ich mich doch gar nicht übel gehalten, hatte mich meinen Ängsten gestellt und die Initiative ergriffen. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um unter die Decke zu kriechen und mir die Ohren zuzuhalten. Wenn meine Kräfte wirklich außergewöhnlich stark waren …
    Unkontrollierbar
stark …
    Nein, nicht unkontrollierbar. Dad hätte jetzt gesagt, dass man alles unter Kontrolle bringen kann, wenn man die nötige Willenskraft besitzt und bereit ist zu lernen.
    Das Flüstern schien aus dem Nebenraum zu kommen. Also suchte ich mir einen Weg durch das Labyrinth aus Kisten und Kartons, doch so vorsichtig ich auch war, ich rammte mir ständig die Knie, und bei jedem dumpfen Aufschlag zuckte ich zusammen. Mit jedem Schritt, den ich tat, schien sich das Flüstern weiter zu entfernen. Ich hatte den größten Teil des Lagerhauses bereits hinter mich gebracht, als mir klarwurde, dass sich das Geräusch
tatsächlich
von mir entfernte. Ein Geist lockte mich vorwärts.
    Ich blieb stehen. Meine Kopfhaut prickelte, als ich in die Dunkelheit spähte, zu den in jeder Richtung aufragenden Kistenstapeln hin. Plötzlich schien das Geflüster um mich herumzukreisen. Ich fuhr herum und krachte in einen Stapel von Holzkisten, ein Splitter grub sich in meine Handfläche.
    Ich atmete tief durch, wappnete mich und fragte dann: »Willst du mit mir reden?«
    Das Geflüster brach ab. Ich wartete.
    »Nein? Schön, dann gehe ich also wieder …«
    Ein plötzliches Kichern hinter mir. Ich drehte mich um, stieß zum zweiten Mal gegen die Kisten, Staub stieg mir in Mund und Nase und Augen. Als ich zu husten begann, wurde das Kichern hämisch. Ich sah genug, um zu wissen, dass dieses Gackern zu keinem lebenden Menschen gehörte. Entschlossen marschierte ich zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war.
    Das Geflüster folgte mir, unmittelbar neben meinem Ohr jetzt, und steigerte sich zu einem dumpfen Stöhnen, bei dem sich die Härchen auf meinen Armen aufstellten.
    Mir fiel wieder ein, was mir der Geist des Nekromanten in Lyle House gesagt hatte – dass er mir vom Krankenhaus aus gefolgt war, dass er sich dort mit Geistern befasst hatte, die die Patienten der psychiatrischen Abteilung piesackten. Ich nehme mal an, wenn man ein sadistischer Trottel ist, der seit Jahren in irgendeiner Zwischenwelt feststeckt, findet man es vielleicht ziemlich witzig, Psychiatriepatienten – oder junge Nekromanten – zu erschrecken.
    Das Gestöhne dehnte sich zu einem unheimlichen Klagelaut, als jammerten die Seelen rastloser Toter.
    Ich fuhr erneut herum: »Amüsierst du dich? Okay, weißt du was? Wenn du so weitermachst, wirst du schneller merken, als dir lieb ist, dass ich sehr viel stärker bin, als du denkst. Ich hole dich da raus, ob du dich jetzt zeigen willst oder nicht.«
    Meine Ansage war perfekt gewesen, nachdrücklich und ruhig, aber der Geist stieß nur ein abfälliges Schnauben aus und begann dann wieder mit seinem Geheul.
    Ich tastete mich zu einer Kiste, staubte die Oberfläche ab und setzte mich. »Eine Chance hast du noch, bevor ich dich rausziehe.«
    Zwei Sekunden der Stille. Dann wieder das Stöhnen, unmittelbar neben meinem Ohr – ich wäre fast von der Kiste gefallen. Der Geist kicherte. Ich schloss die Augen und beschwor, wobei ich darauf achtete, den Pegel niedrig zu halten, einfach für den Fall, dass seine Leiche in der Nähe war. Es wäre zunächst vielleicht befriedigend, seinen Geist in den verwesenden Kadaver zuückzuholen, aber später würde ich es bereuen. Daher war ich vorsichtig. Das Gestöhne brach ab. Als dann ein verblüfftes Grunzen zu hören war, lächelte ich und drehte hoch, immer nur ein kleines bisschen.
    Er begann Gestalt anzunehmen – ein kleiner rundlicher Typ, alt genug, um mein Großvater zu sein. Er wand und drehte sich, als steckte er in einer Zwangsjacke. Ich zog kräftiger …
    Ein dumpfer Schlag in der Nähe ließ mich zusammenfahren.
    »Liz?«, fragte ich. »Tori?«
    Der Geist fauchte: »Lass mich los, du kleines …«
    Ein weiterer Schlag, der die nicht gerade schmeichelhafte Bezeichnung übertönte – jedenfalls weitestgehend. Dann ein unheimliches Huschgeräusch.
    »Lass mich gehen, oder

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