Seelennacht
Verkaufen-Schildern versehen waren.
»Und, wo ist er also?«, wollte Tori wissen.
»Hm. Muss sich wohl von der Kette losgerissen haben.«
»Tori, Simon ist schon ein großer Junge, und es steht ihm frei, sich von hier zu entfernen.« Ich wandte mich an Derek. »Kannst du ihn finden?«
»Yeah.«
Derek ging in die Hocke. Auch wenn Derek wirklich nicht wild schnüffelnd mit der Nase auf dem Boden herumgekroch, starrte Tori ihn entgeistert an.
»Bitte sag mir, dass er nicht tut, was ich jetzt glaube, dass er tut«, sagte sie.
Derek runzelte die Stirn – nicht in Toris Richtung, sondern zu mir. »Ich hoffe bloß, es gibt für das hier eine gute Erklärung«, sagte er mit einem Kopfnicken zu ihr hinüber.
»Eigentlich nicht«, murmelte ich.
Er holte tief Luft und stand wieder auf. »Bleibt hier.«
Tori wartete, bis er fort war, und schauderte dann. »Okay, wegen Derek hab ich immer Zustände gekriegt, aber dieses ganze Wolfsmensch-Zeug, das ist jetzt echt zu abgedreht. Passt zu ihm, nehme ich mal an. Gruslige Gabe für einen grusligen Typ.«
»Ich hab gedacht, dass er jetzt besser aussieht.«
Sie starrte mich fassungslos an.
»Was? Tut er doch wirklich. Wahrscheinlich weil er mit diesen Wolfswandlungen angefangen hat und sich nicht mehr verrückt machen muss, weil er in Lyle House festsitzt. Das hilft ihm bestimmt.«
»Weißt du, was wirklich helfen würde? Shampoo. Deo …«
Ich hob die Hand und schnitt ihr das Wort ab. »Er riecht okay, also fang gar nicht erst damit an. Ich bin sicher, er hat Deo genommen, und es funktioniert zur Abwechslung sogar. Und zum Thema Duschen, das kann auf der Straße ein bisschen schwierig werden, und es dauert nicht mehr lang, dann sehen wir auch nicht besser aus.«
»Ich sage ja auch bloß …«
»Glaubst du eigentlich, er
wüsste
nicht, was du sagst? Kurzer Newsticker: Er ist nicht dumm.«
Derek war sich nur zu klar über den Eindruck, den er machte. In Lyle House hatte er zwei Mal pro Tag geduscht, aber gegen den Scheiß, den die Pubertät einem antut, hatte es trotzdem nicht gereicht.
Tori wandte sich wieder ab, um nach Simon Ausschau zu halten. Ich blieb, wo ich war, drei Meter von ihr entfernt und besser verborgen, und hielt ein Auge sowohl auf sie als auch auf die Ecke dort, während ich darauf wartete, ob …
Eine leichte Berührung am Schulterblatt ließ mich hochfahren.
»Aha, also immer noch schreckhaft.«
Ich drehte mich um und sah Simon – und Derek, ein paar Schritte hinter ihm.
Simon grinste, ein Anblick, so vertraut wie Dereks Stirnrunzeln. »Du hast die Nachricht gekriegt, wie ich höre.«
Ich holte das Blatt Papier aus der Tasche und schwenkte es. Er nahm es mir aus den Fingern und schob es in meine Jackentasche zurück. Dann griff er nach meiner Hand. Sein Daumen strich über meine Fingerknöchel. Ich hatte einen Kloß im Hals und war so erleichtert, ihn zu sehen, sie beide endlich und wahrhaftig zu sehen nach den ganzen Befürchtungen und den Alpträumen …
Wenn ich den nötigen Mut gehabt hätte, hätte ich ihn umarmt. Stattdessen sagte ich nur: »Ich bin echt froh, dass ihr uns gefunden habt«, und hörte meine Stimme kippen.
Simon drückte meine Hand, senkte dann die Lippen zu meinem Ohr hinunter und flüsterte: »Ich …« Dann erstarrte er und hob den Kopf.
»Hey, Simon«, sagte Tori hinter mir.
»Was macht die denn hier?«
Derek zeigte ruckartig mit dem Daumen in meine Richtung. »Frag sie. Ich kriege hier keine Antworten.«
»Das ist eine lange Geschichte«, erklärte ich.
»Dann wird es warten müssen«, sagte Derek. »Wir müssen erst mal hier weg.«
Simon flüsterte mir zu: »Aber ist alles okay?«
»Nein«, antwortete Tori. »Ich habe sie gekidnappt und gezwungen, zusammen mit mir zu fliehen. Ich hab sie seither als menschlichen Schutzschild gegen die Typen mit den Gewehren eingesetzt und war gerade dabei, sie zu erwürgen und ihre Leiche hier liegenzulassen, um sie von meiner Spur abzulenken. Aber dann seid ja ihr aufgetaucht und habt meinen hinterhältigen Plan zunichtegemacht. Immerhin, Glück für euch – die nächste Gelegenheit, die arme kleine Chloe zu retten und euch ihre immerwährende Dankbarkeit zu sichern.«
»Immerwährende Dankbarkeit?« Simon sah mich an. »Cool. Gehört da immerwährende Knechtschaft dazu? Wenn ja, ich mag meine Eier am liebsten als Spiegeleier.«
Ich lächelte. »Werd’s mir merken.«
»Genug gefaselt«, brummelte Derek. »Wir müssen los.«
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18
I n der Kinofilmversion
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