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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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erledigen. Und du …« Sie sah zu dem Gebäude hin, und die Wehmut in ihren Augen ging wie ein Stich durch mich hindurch. »Du hast auch was zu erledigen. Du und die anderen.«
    »Liz, ich …«
    »Schon okay. Erledige du deinen Kram, ich komme nach.«
    »Ich werde dich vermissen.«
    Sie streckte die Hand aus, und ich hätte schwören können, dass ich spürte, wie ihre Finger meine streiften. »Du bist lieb, Chloe. Mach dir um mich keine Sorgen. Ich komme zurück.« Dann verschwand sie.
     
    Die anderen warteten unmittelbar hinter der Türöffnung. Durch den überall herumliegenden Schutt kämpften wir uns im Gänsemarsch und in fast vollkommener Dunkelheit hinter Derek vorwärts.
    Ich spürte, wie sich die Härchen in meinem Nacken aufstellten und wie in meinem Hinterkopf ein dumpfes Pochen einsetzte. Ich ging langsamer, und jetzt war es Tori, die von hinten in mich hineinrannte.
    »Mach schon«, sagte sie. »Oh, stimmt ja, Chloe fürchtet sich im Dunkeln. Simon, du solltest sie besser an der Hand nehmen, sonst …«
    »Halt die Klappe.« Simon schob sich an Tori vorbei zu mir hin. »Alles okay?«
    »Irgendwas ist hier. Ich kann’s spüren.«
    »Geister?«
    »Ich glaube nicht. Es ist wie das, was ich in diesem Kriechkeller in Lyle House gespürt habe.«
    Derek fluchte.
    Ich drehte mich um und spähte durch die Dunkelheit zu ihm. »Was?«
    »Es ist eine Leiche.«
    »Was?«,
fragte Simon. Tori stellte fast gleichzeitig die gleiche Frage, nur schriller.
    »Irgendwo hier drin ist eine Leiche. Hab sie gestern schon gerochen, nachdem wir hergekommen waren.«
    »Und dir nicht die Mühe gemacht, es mir zu sagen?«, fragte Simon.
    »Es ist eine Leiche. Längst tot. Irgendein obdachloser Typ. Sonst ist es tadellos hier.«
    »Sonst?
Ein rabenschwarzes Loch voller Müll, Leichen und Ratten? Du hast wirklich ein Händchen für die Wohnungssuche, Bro.«
    »Ratten?«, fragte ich. Mir fielen die Fledermäuse wieder ein.
    »Na toll«, murmelte Tori. »Vor Ratten hat sie also auch Schiss.«
    »Solange ich hier bin, bleiben die weg«, sagte Derek.
    Es waren nicht die
lebendigen
Ratten, um die ich mir Sorgen machte.
    Er fuhr fort: »Aber an die Leiche hatte ich nicht gedacht. Chloe? Ist das ein Problem?«
    Es war eins. Ich hätte ihnen von den Fledermäusen erzählen sollen, dass ich sie versehentlich beschworen hatte, als ich mich mit diesem Geist befasst hatte. Aber als ich sie dort stehen sah und bemerkte, wie müde sie waren, wie ungeduldig darauf, einen Ort zu finden, wo sie sich ausruhen und reden, herausfinden konnten, was ich wusste … Ich würde schon mit der Situation zurechtkommen. Solange ich nicht versuchte, Liz zu rufen, würde ich auch diesen Toten nicht beschwören.
    Also sagte ich genau das.
    »Aber es macht dir zu schaffen, dass er in der Nähe ist«, stellte Simon fest. »Wir sollten vielleicht …«
    »Ich denke mal, es ist nicht so einfach, einen wirklich sicheren Ort zu finden.« Ich brachte ein Lächeln zustande. »Wird also eine nützliche Erfahrung sein. Ich sollte sowieso lernen, das Gefühl zu erkennen.«
    »Oh, natürlich«, stichelte Tori, »Chloe wird aus der Erfahrung etwas
lernen.
Du kommst wirklich nie von dieser Tour runter, stimmt’s? Du bist so ein ewig positives kleines Glücksbärchi …«
    Simon drehte sich um und wollte sie anfahren, aber Derek winkte uns weiter. Wir erreichten einen fensterlosen Raum in der Mitte des Gebäudes, und Derek zündete eine Laterne an. Das schwankende Licht reichte aus, um die Umgebung zu erkennen. Bei ihrem früheren Besuch hatten die Jungs Kisten zum Sitzen hergebracht und Zeitungspapier auf dem schmutzigen Fußboden ausgebreitet. Zwei neue Rucksäcke standen versteckt hinter den Kisten, zusammen mit einem Stapel billiger Decken. Es war nicht gerade das Hilton – oder Lyle House –, aber es war entschieden besser als unsere Bleibe von gestern Abend.
    Wir setzten uns, Derek holte eine Handvoll Energieriegel aus der Tasche und gab mir einen davon.
    »Oh, stimmt, ihr müsst ausgehungert sein.« Simon griff ebenfalls in die Taschen. »Ich kann einen angeschlagenen Apfel und eine fleckige Banane anbieten. Diese Vierundzwanzig-Stunden-Läden sind nicht der beste Ort, um Obst zu kaufen, wie ich einer bestimmten Person immer wieder sage.«
    »Besser als dieses Zeug hier. Jedenfalls für dich, Simon.« Derek gab Tori einen Riegel.
    »Weil du die eigentlich nicht essen sollst, oder?«, fragte ich. »Dabei fällt mir ein …« Ich holte das Insulin heraus.

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