Seelennacht
zu denen gehört, aber ich muss versuchen, sie da rauszuholen. Ich erwarte nicht, dass da jemand mitmacht …«
»Nein, du hast recht«, sagte Simon. »Rae hat Mist gebaut, aber sie verdient ja nicht, dafür zu sterben.«
»Ich weiß, dass wir sie allein nicht retten können.« Ich warf einen Seitenblick auf Derek. Als er nickte, verspürte ich einen Stich der Enttäuschung, als hätte ich gehofft, er würde sagen, dass wir das schon schaffen würden. Natürlich hatte er recht. Es war unmöglich.
»Wenn wir euren Dad gefunden haben, gehe ich dorthin zurück«, sagte ich. »Inzwischen wissen wir ja wohl, warum er euch beide genommen hat und abgehauen ist.«
»Weil er irgendwann auf den Gedanken gekommen ist, dass es vielleicht doch keine so tolle Idee war, seinen Sohn genetisch manipulieren zu lassen?«
Die Bitterkeit in Simons Stimme überraschte mich. Daran hatte ich die ganze Zeit gar nicht gedacht – ich war zu sehr daran gewöhnt gewesen, an Simons Dad als an den Verbündeten, einen von den Guten zu denken. Aber auch er hatte seinen Sohn diesem Experiment unterzogen, genau wie all die anderen Eltern.
»Sie haben versucht, das Richtige zu tun«, sagte ich in Erinnerung an Tante Laurens Brief. »Sie haben gedacht, es würde uns das Leben leichter machen. Die Edison Group hat ihnen diesen Traum verkauft, und als es angefangen hat schiefzugehen, ist dein Dad abgehauen. Tante Lauren hat es auch versucht.« Ich berührte den Brief in meiner Tasche. »Eben einfach nur zu spät.«
»Und dann waren da noch diejenigen von uns, deren Eltern es nie bereut haben«, sagte Tori. »Deren Mütter sich als absolut üble Miststücke rausgestellt haben. Aber hey, wenigstens kann jetzt keiner mehr sagen, ich würde ihr Schande machen.« Sie riss das restliche Papier von ihrem Riegel. »Aber diesen Mist, dass wir Fehlschläge sind, den kaufe ich ihnen nicht ab. Die wollten stärkere Paranormale! Und die sind wir. Sie müssen uns nur beibringen, wie man es kontrolliert.«
»Geh zurück und sag ihnen das«, schlug Simon vor.
»Was ist eigentlich mit dir?« Tori zeigte mit ihrem Riegel auf Simon. »Deine Kräfte scheinen ja prima zu funktionieren. Du hast nicht mal Therapiesitzungen gehabt in Lyle House.«
»Simon war gar nicht auf der Liste. Sie betrachten ihn als Erfolg.«
»Was das auch genau heißen mag.« Simon setzte sich auf seiner Kiste zurecht. »Die sogenannten Erfolge in diesem Experiment scheinen schwächere paranormale Begabungen zu haben, aber vielleicht haben die sich auch einfach noch nicht entwickelt. Wenn sie’s tun, kriegen wir vielleicht die gleichen Probleme.«
Tori nickte. »Tickende Zeitbomben.«
Genau das, was die Quasi-Dämonin gesagt hatte. Ich hatte sie nicht erwähnt. Eine unnötige Komplikation und eine weitere Gelegenheit für Derek, mir mitzuteilen, wie dumm es gewesen war, ihr auch nur zuzuhören. Und was sie sonst noch gesagt hatte – dass ich zurückkommen würde, um sie zu befreien? Nichts, worüber ich in diesem Moment gerade nachdenken wollte. Wenn wir wirklich wieder hingehen würden, dann würden wir Simons Dad bei uns haben, und er würde eine Möglichkeit finden, der Edison Group beizukommen,
ohne
dass wir irgendwelche Dämonen befreien mussten.
»Mein Dad wird uns den Rest erklären können«, sagte Simon.
»Fantastisch«, warf Tori sarkastisch ein. »Wir werden Chloes Tante und Rae retten und all unsere Fragen beantwortet kriegen … sobald ihr euren verschollenen Dad gefunden habt. Wie geht es voran damit?« Sie sah sich in der näheren Umgebung um. »Nicht besonders gut anscheinend.«
Ich sah den Ärger in Simons Augen aufflackern, aber er unterdrückte ihn. »Wir sind dran.«
»Ach, wie denn?«
»Später«, sagte Derek. »Im Moment müssen wir Chloe wärmere Sachen besorgen.«
»Chloe, Chloe, Chloe. Hört mal auf, euch Sorgen um die arme kleine Chloe zu machen. Sie ist noch nicht erfroren. Was ist denn nun mit eurem Dad? Irgendwelche Hinweise? Irgendeine Spur?«
»Noch nicht«, sagte Simon.
»Was habt ihr denn dann die letzten zwei Tage gemacht?«
Der Ärger flammte hoch, und dieses Mal ließ Derek es geschehen. Er drehte sich so schnell zu ihr herum, dass sie zurückfuhr. »Wir haben jede wache Minute mit drei Dingen zugebracht: selbst durchzukommen, Chloe zu finden und unseren Dad zu finden. Und was hast du getan?«
»Ich war eingesperrt.«
»Und? Chloe hat das nicht abgehalten. Was hast du dem Ganzen hinzuzufügen, Tori? Hast du
irgendwas
rausgefunden? Oder
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