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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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bekommen, noch einmal von vorn anzufangen. Als ich das las, fielen Tränen auf das Zeitungspapier. Ich schüttelte sie herunter.
    »Eine halbe Million?« Tori hatte über meine Schulter mitgelesen. »Die Edison Group muss das Geld gestellt haben, um uns zurückzukriegen.«
    Simon zeigte auf das Datum. Gestern Vormittag – da waren wir noch in ihrer Obhut gewesen.
    »Okay«, sagte Tori. »Dann haben sie ihrem Dad gesagt, er soll diesen Wirbel drum machen, dass sie weg ist, damit niemand Fragen stellt. Er bietet Geld an, von dem er genau weiß, dass er’s niemals zahlen muss, weil er weiß, wo sie ist.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Meine Tante hat gesagt, dass er nichts über die Edison Group weiß.« Ich starrte auf den Artikel. »Ich muss ihn warnen.«
    Derek trat mir in den Weg. »Das kannst du nicht tun, Chloe.«
    »Wenn er das hier veranlasst hat«, ich zeigte auf den Zeitungsausschnitt, »dann bringt er sich selbst in Gefahr, ohne dass er es weiß. Ich muss ihn …«
    »Er ist nicht in Gefahr. Wenn die es vor ihm an die Öffentlichkeit geschafft hätten, dann wäre er’s vielleicht. Aber wenn ihm jetzt noch irgendwas passierte, würde das nur noch verdächtiger aussehen. Er scheint keinen Zweifel an ihrer Geschichte zu haben, dass du weggelaufen bist, also werden sie ihn in Frieden lassen. Zumindest, solange er nicht rauskriegt, was wirklich los ist.«
    »Aber ich muss ihn irgendwie wissen lassen, dass es mir gutgeht. Er macht sich Sorgen.«
    »Und die wird er sich noch ein bisschen länger machen müssen.«
    »Können wir uns sicher sein, dass er nicht mit denen unter einer Decke steckt?«, fragte Tori. »Was hat deine Tante genau gesagt? Hat sie deine Mom bei dieser genetischen Manipulationssache getäuscht? Oder hat deine Mom Bescheid gewusst?«
    Ich holte den Brief heraus und ging ihn mit dem Finger durch, bis ich die Stelle gefunden hatte. Dann erzählte ich ihnen, was dort stand – die Teile, die für sie interessant waren.
    »Irgendwas über deinen Dad?«, fragte Derek.
    Ich zögerte und nickte dann.
    »Was schreibt sie?«
    »Dass er nichts damit zu tun hatte, wie ich schon gesagt habe.«
    »Was bedeutet, dass es eigentlich nicht gefährlich sein kann, wenn Chloe Kontakt zu ihm aufnimmt, oder?«, fragte Simon.
    Derek musterte mich. Dann sagte er sehr leise: »Chloe …«
    »Sie schreibt … Meine Tante sagt, ich solle mich von ihm fernhalten.«
     
    Ich nehme an, Derek vertraute mir insoweit, dass ich nicht zum nächsten Telefon rennen und meinen Dad anrufen würde, denn unmittelbar danach gingen sie alle drei einkaufen.
    Sowohl meine Tante als auch Derek waren der Ansicht, dass ich mich meinem Dad nicht nähern sollte. Derek sagte, alles andere würde ihn gefährden. Tante Lauren glaubte wahrscheinlich eher, es würde
mich
gefährden.
    Ich liebte meinen Dad. Vielleicht arbeitete er zu viel, war nicht genug zu Hause, wusste nicht recht, was er mit mir anfangen sollte, aber er tat sein Bestes. Er hatte gesagt, er würde in der Stadt bleiben, während ich in Lyle House war, aber als er wegen irgendeiner geschäftlichen Krise dann doch wegmusste, war ich trotzdem nicht wütend gewesen. Er hatte bereits alle Vorkehrungen getroffen, um sich nach meiner Entlassung stattdessen einen Monat Urlaub nehmen zu können, und das war mir wichtiger. Er hatte geglaubt, ich wäre in Lyle House und in der Obhut meiner Tante sicher und gut aufgehoben.
    Er musste glauben, ich wäre über seine Abreise so verletzt und wütend gewesen, dass ich weggelaufen war. Jetzt irrte seine schizophrene Tochter also durch die Straßen von Buffalo. Ich wünschte mir, ihn anzurufen und einfach zu sagen: »Alles in Ordnung mit mir.« Aber Derek und Tante Lauren hatten recht. Wenn ich das tat, war vielleicht sehr bald nichts mehr in Ordnung, weder mit ihm noch mit mir.
     
    Um mich von den Gedanken an meinen Vater abzulenken, beschloss ich, nach der Leiche zu suchen. Wenn es eine Möglichkeit gab, mein Gespür für Tote zu trainieren, dann musste ich gleich jetzt damit anfangen – vor allem nach dem, was mir mit den Fledermäusen passiert war. Ich musste über Tote in meiner Nähe Bescheid wissen, und zwar
bevor
ich ihre Geister zufällig wieder in die Leichen hineinzerrte.
    Es schien wie eine Art Radar zu funktionieren. Denn je näher ich kam, desto stärker wurde das Gefühl. Das hört sich jetzt wahrscheinlich so an, als wäre es ganz einfach gewesen, die Leiche zu finden, aber das war es nicht. Das »Gespür« war nämlich

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