Seelennoete
gehalten. Freust du dich denn gar nicht, dass wir mal ungestört zusammen sein können?“
„Sam, denk nach! Wir sind hier gefangen!“
„Aber doch nicht für immer“, sagte Sam. „Er lässt dich bald gehen. Und sonst sehe ich dich nur noch, wenn Bill auch da ist. Hier sind wir ganz ungestört. Wie früher.“
Laine schüttelte den Kopf und setzte sich auf den Boden.
Abernathy kam mit beschwingtem Gang wieder zurück. Sam nahm das Sandwich und biss hinein. Abernathy kniete sich auf die Plattform und sah Sam beim Essen zu. Langsam streckte er die Hand aus und berührte ihn kurz am Arm. Sam zuckte kaum sichtbar zusammen.
„Tut mir leid“, sagte Abernathy sofort. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Sam sah nur kurz zu ihm auf und aß weiter. Er schien hungrig zu sein. Die Hypnose zeigte schon Wirkung, aber Abernathy wollte sich dem jungen Fischmenschen vorsichtig annähern. Er musste Vertrauen herstellen und Sam in kleinen Schritten an sich gewöhnen. Als er ein zweites Mal die Hand nach ihm ausstreckte, wich Sam mit einem kräftigen Flossenschlag von der Plattform zurück. Sein Körper bildete eine dunkle Silhouette gegen das zartblaue Licht des Beckens, während er, mit leichten Flossenbewegungen die Balance haltend, das Sandwich aufaß. Dabei warf er Abernathy einen misstrauischen Blick zu.
Abernathy lächelte gezwungen. Er wollte sich die Enttäuschung nicht anmerken lassen. Vielleicht durfte er am Anfang nicht so viel erwarten.
„Ich wollte dir keine Angst machen, Sam. Du solltest noch ein wenig schlafen. Morgen ist wieder ein langer Tag.“
Sam antwortete nicht, schien aber zu gehorchen, denn er ließ sich auf den Grund des Beckens sinken. Dann rollte er sich in einer Ecke zusammen und verbarg den Kopf unter der Schwanzflosse, wie er es meistens im Schlaf tat.
Abernathy dimmte das Licht, damit Sam schlafen konnte, und warf Laine einen selbstzufriedenen Blick zu.
„Kein Kunststück, du hast ihn hypnotisiert“, sagte Laine.
„Er steht nicht mehr unter Hypnose. Sagen wir, ich habe ein paar Blockaden bei ihm gelöst. Ich rate dir dringend, da nicht herein zu pfuschen. Du kannst großen seelischen Schaden bei ihm anrichten. Ist das klar?“
„Was hast du ihm eingeredet?“, fragte Laine.
„Gar nichts. Ich möchte nur, dass er sich wohlfühlt, entspannt ist und mir vertraut. Er hat ein schweres Trauma erlitten, das er verarbeiten muss, und ich helfe ihm dabei. Er ist jetzt noch etwas scheu, das legt sich mit der Zeit.“
„Du hilfst ihm nicht, sondern du nutzt sein Trauma für dich aus. Du kannst ihn damit nicht auf deine Seite ziehen, das wirst du schon sehen. Das ist unmöglich“, sagte Laine.
Abernathy lächelte wissend. „Unmöglich? Du siehst doch jetzt schon, dass es möglich ist. Gute Nacht.“
Laine verbrachte die Nacht auf dem Sofa. Als sie aufwachte, stand ein Tablett mit belegten Brötchen vor dem Metallgitter. Sam schlief noch in seinem Becken. Sie konnte sehen, wie seine Flosse sich sacht im Wasser bewegte und ihm Sauerstoff zufächelte. Das war eine Bewegung, die Sams Körper automatisch ausführte. Lange hatte sie das nicht mehr beobachtet. Ewigkeiten waren vergangen, seitdem sie Sams Schlaf in seiner Höhle am Strand bewacht hatte. Bill hatte danach die Wache übernommen. Vielleicht war das Wort Überwachung angebrachter. Bill entschied, wann sie Sam trafen und wo. Zugegeben, seine Methoden hatten Wirkung gezeigt. Abernathy hatte Sams Spur nicht aufnehmen können und es deshalb mit Erpressung versucht. Aber war das nicht am Ende dasselbe? Bill hatte es nicht geschafft, Sam dauerhaft zu schützen.
Sie dachte an ihn. Was tat er jetzt? Und ihre Eltern … sie hatten inzwischen bestimmt die Polizei geholt. Und was, wenn die Polizei sie hier tatsächlich fand? Was geschah dann mit Sam? Sie würde ihn vielleicht nie wieder sehen und er würde nie wieder in Freiheit leben. Selbst wenn er dann Bürgerrechte bekäme, sie würden ihn niemals in Ruhe lassen. Jeder würde an ihm herumzerren. Sam würde das nicht ertragen. Es wäre schlimmer als jetzt.
Ist das verrückt, dachte Laine. Ich muss die Polizei von hier fernhalten, wenn ich Sam schützen will. Aber wenn ich das tue, hat Abernathy freie Bahn für seine Gehirnwäsche.
Laine fuhr sich durchs Haar.
Was zum Teufel hatte der alte Kerl vor? Und was tat er, wenn er sie loswerden musste? Sie einfach freilassen? Sicher nicht. Sie wusste, wo sich die Halle befand. Vielleicht ging er auch weg, nahm Sam mit sich und ließ
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