Seelenprinz
geschlossen, dass Benloise aus ärmlichen Verhältnissen stammte. Zum einen hörte man seine Zugehörigkeit zur Unterschicht dezent heraus, wenn sie Spanisch oder Portugiesisch miteinander sprachen. Zum anderen wussten reiche Leute ihren Besitz in der Regel nicht so zu schätzen wie er.
Für die Reichen war nichts kostbar, sie betrachteten alles als Selbstverständlichkeit.
Der Safe war im Bücherregal hinter dem Schreibtisch versteckt, hinter einem Abschnitt, der sich durch einen Hebel in der unteren rechten Schublade öffnen ließ.
Das wusste sie dank einer versteckten Minikamera, die sie bei der Party in einer abgelegenen Ecke installiert hatte.
Sie betätigte den Hebel. Ein Bereich von einem mal eineinhalb Metern schob sich nach vorne und glitt zur Seite. Und da war er: Ein robuster Stahlkasten, dessen Hersteller sie kannte.
Hatte man erst einmal über hundert der verdammten Dinger geknackt, dann kannte man die einzelnen Fabrikate schon bald recht gut. Seine Wahl gefiel ihr im Übrigen außerordentlich. Würde sie selbst in die Verlegenheit geraten, einen Safe zu benötigen, würde sie genau dieses Modell wählen– und er hatte ihn vorschriftsmäßig im Boden verankert.
Der Schneidbrenner, den sie aus ihrem Rucksack holte, war klein, aber kraftvoll, und als sie ihn entzündete, trat mit kontinuierlichem Zischen eine weiß-blaue Flamme hervor.
Die Sache würde einige Zeit in Anspruch nehmen.
Der Rauch des brennenden Metalls biss in Augen, Nase und Hals, aber sie ließ sich nicht beirren und brannte ein Viereck von dreißig mal sechzig Zentimeter in die Vorderseite. Bei manchen Safes ließen sich die Türen sprengen, aber bei diesem Modell half nur die altmodische Methode.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit.
Doch sie schaffte es.
Sie legte das schwere Teil aus der Tür zur Seite, steckte sich erneut die Stiftlampe zwischen die Zähne und beugte sich hinein. In den Fächern lagen Schmuck, Aktien und ein paar funkelnde Golduhren, die er griffbereit hielt. Außerdem eine Handfeuerwaffe, die hundertprozentig geladen war. Kein Geld.
Andererseits stand Benloise immer und überall so viel Bargeld zur Verfügung, da war es nur logisch, dass er dafür keinen Platz im Safe verschwenden wollte.
Verdammt. Da drinnen lag nichts, was nur fünftausend Dollar wert gewesen wäre.
Dabei wollte sie sich durch diesen Einbruch lediglich das holen, was ihr zustand.
Fluchend setzte sie sich auf die Hacken. Tatsächlich gab es keinen einzigen Gegenstand in diesem Safe, der unter fünfundzwanzigtausend wert war. Und sie konnte ja wohl schlecht ein halbes Uhrarmband mitnehmen– denn wie hätte sie das in Geld umwandeln sollen?
Eine Minute verstrich.
Eine zweite.
Mist, dachte sie, lehnte das ausgeschnittene Viereck seitlich an den Safe und schloss das Bücherregal. Dann erhob sie sich und leuchtete mit ihrer Stiftlampe im Raum umher. Die Bücher waren allesamt Sammlerstücke, Erstausgaben alter Werke. Die Kunstwerke an den Wänden und auf dem Schreibtisch waren nicht nur superteuer, sie ließen sich auch schwer zu Geld machen, ohne dass man dazu in den Untergrund ging– zu Leuten, mit denen Benloise eng vertraut war.
Aber sie würde nicht ohne ihr Geld gehen, verdammt noch mal…
Plötzlich stand ihr die Lösung deutlich vor Augen, und sie lächelte.
Lange Zeit hatte die Menschheit ihren Handel erfolgreich über Tauschgeschäfte betrieben. Dabei wurden Waren und Dienstleistungen gegen andere Waren und Dienstleistungen von gleichem Wert eingetauscht.
Bislang hatte sie nie die anfallenden Kosten in Betracht gezogen, die ihren Opfern infolge der Einbrüche entstanden: neue Safes, neue Alarmanlagen, weitere Sicherheitsvorkehrungen. Das war sicher kostspielig– wenngleich nichts im Vergleich zu dem, was sie für gewöhnlich entwendete. Bei ihrem Eindringen war sie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Benloise diese Zusatzkosten tragen würde– ein materieller Schaden, den sie ihm zufügte, weil er sie betrogen hatte.
Jetzt aber war dieser Schaden das Ziel.
Auf dem Weg zurück zur Treppe sah sie sich nach einer geeigneten Möglichkeit um… und entschied sich für eine Degas-Skulptur, eine junge Tänzerin, die in einer Mauernische platziert war. Die bronzene Ballerina hätte ihrer Großmutter gefallen, und vielleicht fiel Solas Wahl deshalb auf sie.
Das Licht über der Statue war aus, dennoch ging von dem Meisterwerk ein Strahlen aus. Besonders gut gefiel Sola das gerüschte Tutu, dieser zarte und doch steife Tüll
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