Seelenrächer
liebt.«
»Und die sie lieben«, fügte Quinn hinzu. »Ich habe nie aufgehört, sie zu lieben, und ihr auch nie krummgenommen, dass sie mich von sich weggestoßen hat.« Plötzlich traten ihm Tränen in die Augen. »Den Tod eines Kindes verwindet man nicht so leicht. Im Grunde verwindet man ihn nie. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, Doyle. Man muss einfach damit leben.«
Doyle ließ sich auf dem Sofa nieder. Inzwischen betrachtete er den jüngeren Mann voller Mitgefühl.
»Wir werden sie finden«, sagte er. »Ich bin mir ganz sicher, dass wir sie finden werden, Junge.«
Sie gingen auf ein schnelles Frühstück in ihr Stammcafé in der Cabra Road. Trotz der Anspannung und Angst verspürte Quinn plötzlich einen Heißhunger, nachdem er seit Sonntag kaum etwas gegessen hatte.
»Möchtest du bei Paddy vorbeischauen? Vielleicht ist er ja zu Hause«, meinte Doyle. »Sollen wir ihn anrufen?«
Quinn schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, wir sollten ihn Frank überlassen. Frank ist ein guter Polizist. Er wird tun, was er für nötig hält.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Ich würde lieber nach Islandbridge fahren und mit den Brüdern reden.«
St. Boniface lag am Südufer der Liffey, nicht weit vom Kriegerdenkmal entfernt. Nördlich davon wurde der Fluss etwas breiter und umschloss eine Reihe von Inseln mit üppiger grüner Vegetation. Das Ganze sah aus wie eine Miniaturlagune – ein Eindruck, der durch das Tosen eines Wehrs noch verstärkt wurde.
Nachdem sie ihren Wagen geparkt hatten und ausgestiegen waren, blieb Quinn einen Moment nachdenklich stehen. Er betrachtete die Ruderbote am Südufer. Die hohen, weißgestrichenen Gebäude, die ein Stück davon entfernt die Straße säumten. Die Brücken und Wege, die die Inseln miteinander verbanden.
»Gar kein so schlechter Ort für einen Heranwachsenden«, bemerkte Doyle. »Jedenfalls Welten besser als eine beschissene Sozialwohnung in Clane.«
Am Haupteingang wurden sie von Bruder Peter Farrell in Empfang genommen. Er trug eine lange schwarze Kutte mit weißem Kragen, woran man erkennen konnte, dass er ein Mönch war und kein Priester. Mit seinen knapp sechzig Jahren hatte Bruder Peter wettergegerbte Gesichtszüge und trug sein weißes Haar kurz geschoren wie ein US Marine. Die Hände tief in die Taschen geschoben, ging er mit den beiden Polizisten in Richtung Fluss.
Das Rauschen des Wehrs ließ Quinn an seine Frau denken. Vor seinem geistigen Auge sah er sie ohne etwas zu trinken in irgendeinem Versteck liegen. Das hielt sie höchstens noch bis zehn Uhr abends durch, dann würde sie ins Koma fallen.
»Worüber wollten Sie mit mir sprechen, Inspector?«, wandte Farrell sich an ihn.
»Über Patrick Pearse Maguire.«
Farrells Miene verfinsterte sich. Er zog einen Rosenkranz aus der Tasche, betrachtete ihn einen kurzen Moment und klemmte sich dann ein paar von den Perlen zwischen die Finger, ehe er ihn wieder verschwinden ließ.
»Er ist vor zwanzig Jahren hier zur Schule gegangen«, fuhr Quinn fort. »Er kam im Alter von elf Jahren und blieb, bis er achtzehn war. Am Ende wollte er sogar in den Orden eintreten, überlegte es sich dann aber aus irgendeinem Grund anders.«
»Handelt es sich hierbei um eine offizielle Befragung, Inspector?«
Quinn kniff die Augen zusammen. »Ich versuche, meine Frau zu finden, Bruder Peter.«
Der Wind frischte auf, und die Liffey hatte plötzlich Schaumkronen.
»Sie erinnern sich an ihn?«, fragte Doyle.
Farrell nickt. »Natürlich erinnere ich mich. Sie meinen den Bruder von Superintendent Frank Maguire. Frank ist ein guter Mensch, ein guter Katholik. Bis zum heutigen Tage unterstützt er uns, indem er Spendengelder für uns auftreibt, Empfehlungsbriefe schreibt und so weiter. Ihnen ist sicher klar, dass ich ihm von diesem Gespräch erzählen muss. Ich fühle mich ihm gegenüber verpflichtet.«
»Natürlich, kein Problem«, antwortete Quinn, »das ist Ihr gutes Recht. Aber nun erzählen Sie uns doch erst einmal, wie das damals abgelaufen ist.«
»Was genau meinen Sie mit abgelaufen ?«
»Wie Patrick zu Ihnen kam, und warum er am Ende doch wieder gegangen ist.«
Mittwoch, 3. September, 09:00 Uhr
Als Patrick aus der Haustür trat, lehnte sein Bruder mit verschränkten Armen an seinem silberfarbenen Opel.
»Frank?«, rief Patrick überrascht aus. »Was tust du denn hier?«
Frank gab ihm nicht gleich eine Antwort. Mit einer energischen Bewegung stieß er sich von dem Auto ab und überquerte die Straße.
»Ich
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