Seelenraub
Etagenbetts. Es knackte vernehmlich. Riley erzählte Peter von ihrem neuen Schlafplatz und wie es hier aussah. »Meister Stewart will, dass ich heute Nacht auf geweihtem Boden bleibe. Er macht sich Sorgen, dass irgendein Dämon über mich herfällt.« Eigentlich nur ein ganz bestimmter Dämon, aber das brauchte Peter nicht zu wissen.
»Ist Beck bei dir?«
»Nein. Er spielt Billard.«
Zumindest sollte er das besser tun.
Schweigen. Sie versuchte, so lange zu warten, bis er den Mund aufmachte, doch schließlich gab sie auf. »Sieh mal, Peter, wenn du nicht mit mir reden willst …«
»Das ist es nicht. Es ist nur … hier ist einiges los.«
Sie rutschte im Bett höher, alarmiert von dem hilflosen Unterton in seiner Stimme. »Zum Beispiel?«
»Mom und Dad lassen sich scheiden.«
Es dauerte einen Moment, bis sie es voll erfasst hatte. »Mensch, Peter, das tut mir echt leid. Ich dachte, sie hätten sich nach dem Tod deines Bruders wieder berappelt.«
»Nein. Es war nie wieder so wie früher. Sie haben so getan, als ob, aber Dad hat es am Ende nicht mehr ausgehalten. Er kann Moms Kontrollwahn nicht länger ertragen.«
Ihr Freund übertrieb nicht. Nach Matts tödlichem Autounfall hatte sich Peters Mom in »Die Aufsicht« verwandelt, wie er sie nannte. Sie hatte die Bewegungen ihrer Kinder kontrolliert, als lebten sie in einem Gefängnis.
»Mit Dad hat sie es genauso gemacht«, vertraute Peter ihr an. »Sobald er ein paar Minuten zu spät kommt, flippt sie aus und nervt ihn mit Anrufen.«
»Ich dachte, sie wären zu einer Beratungsstelle oder so gegangen.«
»Sind sie auch. Aber es hat nicht geholfen«, sagte er traurig.
»Und wie geht’s jetzt weiter?«
»Mom will zurück nach Illinois. Sie findet, Atlanta sei für Kinder zu gefährlich.«
Nur, wenn man trinkt und fährt.
Ein gequältes Stöhnen drang aus dem Telefon. »Sie haben es uns heute Abend erzählt. Dann haben sie uns gefragt, wer bei wem leben will.«
Wenn ihre Eltern ihr diese Frage gestellt hätten, wie hätte sie das entscheiden können? Egal, auf wen die Wahl fiel, der andere wäre immer verletzt gewesen. »Gott, ist das grausam.«
»Total. David sagt, er will hier bei Dad bleiben. Ich habe gekniffen und gesagt, ich müsste noch darüber nachdenken. Mom ist echt sauer. Ich glaube, sie dachte, ich würde auf jeden Fall bei ihr bleiben.«
»Was ist mit den Zwillingen?«, fragte sie.
»Die Ghuls gehen auf jeden Fall mit ihr. Sie sind zu klein, um bei Dad zu bleiben.« Sie hörte ihn beim Gedanken an seine jüngsten beiden Brüder seufzen. »Und was hast du morgen vor?«
»Ich muss nach Harper sehen, dann muss ich Simon besuchen und zu den Beerdigungen gehen.«
»Wer ist eigentlich dieser Simon? Ist das der Typ, den ich im Fernsehen gesehen habe?«
»Ja. Er ist ein Dämonenfängerlehrling. Wir … sind zusammen.«
»Cool.«
»Dieses Mal fühlt es sich richtig an, Peter.«
»Na, das ist ja immerhin etwas.«
Wieder ein verlegenes Schweigen. »Es tut mir wirklich leid für dich.«
»Ja, mir auch. Wegen vieler Dinge. Gute Nacht, Riley.«
Sie beendete den Anruf.
»Wage es ja nicht, von hier wegzuziehen, Peter King«, flüsterte sie. »Du bist mein bester Freund. Ohne dich schaffe ich es nicht.«
Mit vor der Brust verschränkten Armen stand Ori gegenüber der Kirche auf der anderen Straßenseite an sein Motorrad gelehnt. Riley hatte sich ihren Schlupfwinkel klug gewählt: Kein Dämon würde es wagen, geweihten Boden zu betreten, denn bei dem hohen Preis lohnte es sich nicht. Diese Kirche war alt, und selbst von hier aus spürte er den Druck der reinen Kraft des Schöpfers, die alles um ihn herum durchtränkte, auf seiner Haut. Er sog sie ein wie einen Atemzug verlockender Frühlingsluft nach einem grausamen Winter.
»Du bist wahrhaft süchtig«, sagte eine schroffe Stimme.
Ori schaffte es nicht, seinen Unmut zu dämpfen, weil dieser friedliche Augenblick gestört worden war. »Sartael«, sagte er säuerlich, »mischst du dich mal wieder unters gemeine Volk?«
Der Engel neben ihm stieß ein bösartiges Kichern aus. Solange man nicht selbst göttlicher Natur war, wirkte er unauffällig, wie ein einfacher Mann, der es stets schaffte, mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Ein göttliches Wesen dagegen sah den wahren Sartael – das dunkle Haar, die gewaltigen Schwingen und das auf den Rücken geschnallte Schwert, dessen Heft knapp über die Schulter ragte. Im Moment ruhte die Klinge, doch sobald er sie aus der Scheide zog, würde sie
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