Seelenschacher
Büro war nicht so angenehm. Es war heiß, das offene Fenster in den Lichthof hinaus kühlte auch nicht, und außerdem zeichnete das bisschen Mondlicht den Schatten der toten Topfpflanzen unheimlich auf den Boden. Irgendwo in den Untiefen des Instituts surrte eine elektrische Maschine, ansonsten war es furchtbar still.
Gegen den ersten Winter in Wien war es allerdings gemütlich. Damals, noch grün hinter den Ohren, hatte ich mir eine Wohnung im zweiten Bezirk am Donaukanal gemietet. Die Wohnung war auch da gewesen, was fehlte waren Fenster, Gas und Strom. Im Oktober zog ich ein, Strom und Gas kamen vor Weihnachten, die Fenster wurden erst im neuen Jahr eingesetzt. Den Donaukanal pfeift immer ein kalter Wind hinunter, egal mit wie viel Plastik ich die Wandöffnungen verschloss, manchmal blies mir ein Windstoß die Kerze aus. Was für mein Wohlbefinden schlecht war, half mir beim Studium. Denn schnell hatte ich herausgefunden, wann in Wien die erste Bibliothek öffnet und wann die letzte schließt. Von da an saß ich nur noch über Büchern, denn dort war es warm. Unter der Woche war die letzte offene Bibliothek die der Katholischen Theologie am Ring. Manchmal musste mich die Bibliothekarin an den Ohren hinausschleifen. Bis ich ihr meine Geschichte erzählte. Dann erwachten mütterliche Gefühle in ihr, und die Mittvierzigerin sorgte dafür, dass es mich nicht mehr fror. Was dann zu anderen Gefühlen führte. Kochen konnte sie übrigens auch.
Ihr Lebensgefährte, den sie mit Leichtigkeit und all der Selbstverständlichkeit betrog, als wäre sie sich als Frau ihres natürlichen Prärogativs so gewiss und bewusst wie ein Herrscher, der den zweifellos Schuldigen begnadigt und das Parlament des Friedensschlusses wegen auflöst. Von Gott eingesetzt und bestätigt, ins Sein getretener Wille des Allerhöchsten. Ihr Freund war übrigens Drucker, außerdem Kommunist mit einem schweren Faible für Hegel und die Wiener Unterwelt. Er kannte Bender, und das führte zu meinem ersten Job. Bender betrieb ein paar illegale Kasinos und hatte seine Finger überall drin, wo verboten draufstand. Zuerst arbeitete ich nur als Barmann, dann als Croupier und schließlich erledigte ich eines Tages einen kleinen Auftrag für Bender, fast legal. Das ›fast legal‹ wurde bald zu illegal und es machte mir jede Menge Spaß. Eines Tages gab es dann einen Toten und ich hörte auf, bis vor einem halben Jahr ein betrunkenes Mädchen in einen Mercedes stieg und der Papierkrieg begann. Irgendwann verlor ich mich in den Erinnerungen und schlief ein.
Der nächste Morgen war kalt, und wieder krabbelte mir die Fliege über die Wange. Tod allem, das kleiner ist als ein Apfel und in meinem Büro wohnt, schwor ich mir. Doch das mit den Schwüren ist so eine Sache. Ausgesprochen sind sie schnell, die Erfüllung steht jedoch auf einem anderen Blatt.
Ich war also gerade dabei, meine Hand Zentimeter um Zentimeter der Fliege zu nähern, als das Telefon läutete. Nicht mal morgens hat man seine Ruhe. Es war der kleine Stalin, der meine Wohnung umgrub. Zuerst war ich ein wenig perplex, bis mir einfiel, dass ich ihm meine Nummer gegeben hatte.
»Hallo, Professor.«
»Wie gehts mit der Renovierung voran?« Mir schwante Schreckliches, eingemauerte Leichen oder Ähnliches, das meine Wohnung auf absehbare Zeit unbewohnbar machen würde.
»Gut. Da will Sie wer sprechen.«
Ich hörte ein Krachen und eine andere, ebenfalls männliche Stimme war am Telefon.
»Moratti, Kripo Wien. Wo halten Sie sich derzeit auf?« Seine Stimme war dunkel und rau. Im Hintergrund konnte man Berge mit schneebedeckten Gipfeln hören.
»In meinem Büro, Hauptuni, Lueger-Ring im Ersten. Warum?«
»Die Fragen stellen wir. Rühren Sie sich nicht vom Fleck, in 20 Minuten sind wir da.«
Und schon hatte er aufgelegt.
Ich beschloss, auf den Befehl zu pfeifen und mir zuerst einmal einen Kaffee zu holen. Zuerst morgens immer ein Kaffee, danach vielleicht noch einen, dann erst Polizei.
Unten bei der Station Universität hatte das Stehcafé schon geöffnet. Ein paar übriggebliebene Nachtschwärmer, die sich an ihren Bierflaschen festhielten, um nicht umzufallen, ein paar Zeugen Jehovas mit ihren Wachttürmen, und sonst noch ein paar Passanten waren ebenfalls da. Ein schwer betrunkener Mann mittleren Alters mit dem zerstörten Gesicht des Berufstrinkers war gerade dabei, die letzten Fragen der Apokalypse mit den Wachtturmverkäufern zu klären. Alles endet in der Eschatologie, hatte mein Lehrer
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