Seelenschacher
herausgeschaut, deswegen blieb ich da. Sollte sich das bis zum Ende des Abends nicht ändern, würde ich einfach Korkarian im Dunkeln folgen. Dann hätte ich wenigstens seine Wohnung, was wieder ein paar Möglichkeiten eröffnen würde.Die im Dunkeln kann man zwar doch sehen, aber eben nicht so gut wie untertags. Es blieb nur zu hoffen, dass Korkarian nicht mit dem Wagen da war. Während ich mir verschiedene Pläne zurechtlegte, kamen immer wieder ein paar der Schacherer aus dem Hinterzimmer, heizten eine Zigarette, unterhielten sich kurz und gingen wieder zurück.
Unterdessen war ich zu meinem Sophokles zurückgekehrt. Die Stunden, die Seiten und zwei weitere Mokka zogen an mir vorüber. Endlich waren so ziemlich alle Partien beendet, das Schachvolk saß redend bei Alkohol und Nikotin. Die Partie von Korkarian war noch im Gange, so wie eine zweite, von der alle sprachen. Stoß hatte seinen Gegner komplett überspielt, war einen Läufer und drei Freibauern im Vorteil. Doch der schweigsame Herr hatte sich geschickt und mit viel Glück in eine Pattsituation gerettet. Alles materielle Übergewicht nutzte Stoß genau gar nichts. Er saß noch am Brett und rechnete hoffend, doch vergebens. Einige Minuten später flog die Tür auf und Stoß kam hereingeplatzt.
»So a Schaß! Herst, so a schene Partie spiel i selten. Und dann des. Puppi, du bist a Hundling. I sauf mi zua!« Ein Mann, ein Wort.
Hinter ihm kam der immer als »Puppi« angeredete Gegner herein, ein breites Grinsen und eine Zigarette auf den Lippen. Es wurde durcheinander geredet, von Heldentaten und Missgeschicken berichtet. Von Zeit zu Zeit stand einer auf und ging kiebitzen, wie es denn in der Korkarianpartie stünde. Auch diese endete Remis, und die beiden Spieler setzten sich wieder zu den anderen an den Tisch. Ich saß jetzt fast fünf Stunden an meinem Platz, und es war noch nichts herausgekommen. So wie es aussah, würde auch von nichts anderem mehr als Schach gesprochen werden. Ich rang mich gerade zur Entscheidung durch, das Lokal zu verlassen, um draußen im Dunkeln hinter einem Auto auf Korkarian zu warten, als dieser aufstand und direkt auf mich zukam.
Ich blickte von meinem Sophokles und dem Notizbuch, in das ich ab und zu etwas hineinkritzelte, auf. So unschuldig wie möglich, was nicht viel heißen will.
»Kenn Sie doch. Waren bei mir wegen Kredit. Setz mich.«
Ich machte eine einladende Bewegung. »Gerne.«
Er setzte sich neben mich und mir fiel auf, dass er den linken Arm etwas steif bewegte. Entweder eine Entzündung im Schultergelenk oder eine Knarre im Halfter. Beides unerfreulich.
»Was wollen Sie hier? Seh ich doch, Sie hören.«
»Mit Ihnen reden.«
»Wegen Kredit morgen früh, sonst nix.« Er starrte mir hart in die Augen.
»Es geht nicht um einen Kredit …«
»Der Rest scheißt mi nix!«, zischte er mir wütend ins Ohr.
»Doch, es gibt einen Toten.«
Sofort spürte ich den Wechsel in seiner Stimmung. Er zog eine Brieftasche aus der rechten Innentasche seines dunklen Sakkos und gab mir eine Karte. Vardan Korkarian. Hagengasse 23, Tür 16. Das war mitten im Nibelungenviertel. Keine 200 Meter von seinem Büro entfernt. Ich hätte doch einfach mal probieren sollen, ihm zu folgen. Andererseits war es so vielleicht besser, denn nun stand fest, dass er eine Knarre trug. Ansonsten hätte er seine Brieftasche links getragen, wie jeder unbescholtene Bürger das auch macht.
»Jetzt gehen Sie, warten draußen. Ich trink noch was, schnell, und komm dann nach. Keiner soll Sie sehen.«
Er stand auf und ging zu den Schachspielern zurück. Ich winkte der Bedienung und zahlte, packte meine Sachen zusammen und ging hinaus in die laue Nacht. Die Johnstraße hinunter befanden sich ein paar Bäume, gepflanzt, um die parkenden Autos zu beschatten. Zwischen einem Motorrad und einem Kleinbus wartete ich genau in der Mitte zwischen zwei Laternen, im Schatten zweier Bäume. Ein paar Leute kamen vorbei, doch keiner bemerkte mich.
Nach etwa 20 Minuten, so gegen elf Uhr, kam Korkarian allein aus dem Café. Er blickte sich kurz um, wenn man nicht wüsste, dass er etwas suchte, hätte man es nicht bemerkt, und kam augenblicklich auf mich zu. Bei mir angekommen, trat er zu mir in den Schatten. Die rechte Hand in seinem Sakko.
»Weiß ich doch, wie Schnüffler aussieht. Lernt man in der Sojus schnell. Wer ist tot?«
»Schauberger.«
»Kenn ich nicht.«
»Sie war bei Ihnen, wegen eines Kredits.«
»Gebe viele Kredite.«
»Auch die mit den
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