Seelenschacher
Seelen?«
Einen winzigen Moment war er unschlüssig, zögerte. Ein normaler Mensch hätte nervös gewirkt.
»Nein«, sagte er schließlich. Ein Pärchen ging an uns vorbei, bemerkte nichts.
»Zu viele Leit. Also: Sie gehen zur U-Bahn und warten vor meiner Wohnung. Ich geh zu Fuß, mach ich immer so. Keiner soll Sie sehen.«
Er machte einen Schritt zurück aufs Trottoir, ohne mir den Rücken zuzuwenden, und erst als ich ging, drehte er sich um. Netter Kerl, mit einem gewinnenden Wesen.
Ich ging zur U-Bahn und fuhr eine Station. Dann stieg ich aus und machte mich auf ins Nibelungenviertel hinter der Stadthalle. Die Gegend heißt so, weil die Gassen nach Figuren des Nibelungenliedes benannt sind. Es fahren dort wenige Autos, es ist still, und Sommerlinden verkleben mit ihren Blüten die dunklen Gehsteige. Meine Sohlen waren voll von dem Zeug, es fühlte sich an, als ginge ich durch eine Honiglache, so dicht bedeckten sie den Asphalt.
Vor der Tür zu Korkarians Haus wartete ich. Da ich langsam gewesen war, handelte es sich nur um ein paar Minuten, die ich herumstand. Dann sah ich den kleinen Armenier die Gasse herunterkommen. Er läutete zweimal kurz und schloss dann wortlos die Türe auf. Wir stiegen schweigend die Treppen hinauf, es war dunkel im Stiegenhaus und die Bleiglasfenster mit eingeätzten Jugendstilbildern wirkten bedrohlich. Aus einer der Wohnungen drangen leise orientalische Geigenklänge. Eine Solokomposition, gekonnt gespielt, die dem Instrument, dem Musiker und dem Zuhörer alles abverlangte. Irgendwo hämmerte etwas gegen ein Leitungsrohr und eine weitere Tür schloss sich klickend, als wir uns näherten. Ein Haus der Geheimnisse.
Schließlich standen wir vor Korkarians Wohnungstür, er klopfte zweimal kurz und schloss dann auf. Er trat zuerst ein, ich folgte ihm erst auf seine einladende Geste hin. In der Wohnung selbst befanden wir uns in einem kurzen Gang. Auch hier war es dunkel, angenehm kühl, und ein Hauch von Sandel war präsent. Das einzige Licht drang durch einen Türspalt am Ende des Ganges. Korkarian deutete dorthin und sagte leise: »Drinnen nehmen Sie Platz, bin gleich da.«
Ich trat auf die Tür zu, öffnete und trat ein. Korkarian klopfte an eine der anderen Türen hinter mir und begann, mit jemandem zu sprechen. Eine dunkle Stimme antwortete, leicht kehlig und resonant, wie ein Cello in einem abgedunkelten Konzertsaal. Für so eine Frau müsste man eine Violoncello-Suite schreiben, aber da gabs ja schon die von Bach, also konnte ich mir das abschminken. Seine Tochter war also auch zu Hause.
Während draußen vor der Tür die Unterredung weiterging, blickte ich mich im Zimmer um. Es maß etwa sieben mal sieben Meter, mit einer Fensterfront samt kleinem Erker. Die Fenster waren etwa wandhoch, was bei einer Raumhöhe von gut drei Metern ordentlich Glaserkosten verursachen kann. Ein schönes dunkles Parkett, das die Spuren von gut hundert Jahren Benutzung nur noch schöner hatte werden lassen, diente als Unterlage für drei prächtige orientalische Teppiche. Naturfarben, beste Wolle und doppelte Knoten. Es waren Perser. Ein kleines Tischchen mit geschwungenen Beinen, einem Kanapee und drei Stühlen stand an der rechten Wand neben einem Kamin. Links befand sich ein langes Bücherregal, dessen Mittelteil mit Glasfenstern versehen war. Die Bücher dahinter waren alt und wertvoll. Ansonsten standen auch jede Menge sehr gelesen aussehende, moderne Bücher auf dem Regal. An der Fensterfront fand sich noch ein Sekretär in eben demselben Stil wie das Tischchen und die Stühle. Das Tischchen war mit Papieren bedeckt. Computer entdeckte ich keinen. Neben der Sitzgarnitur stand eine Lampe mit Pergamentschirm, die angenehmes, weiches Licht gab. Speziell die Bilder an der Wand profitierten vom Licht, denn überragend gut waren sie nicht. Hauptsächlich Landschaften mit Hügeln, grünem Gras und grauem Stein. Dazwischen ein paar rauschende Bäche. Wahrscheinlich Armenien. Die glänzenden Holzflächen, das warme Licht und die Schönheit der Teppiche erzeugten eine angenehm heimelige Atmosphäre. Ich ließ mich in einen der Stühle sinken und wartete. Neben dem Bücherregal fand sich eine Tür, halb angelehnt. Im Raum dahinter war es dunkel.
Ich saß noch nicht lange da, als sie eintrat. Mit fließenden Bewegungen voller Grazie kam sie aus dem dunklen Zimmer. Geräuschlos wie die Zeit selbst setzte sie ihre Schritte, sicher und elegant. Ihre klaren Augen leuchteten, und auf dem dunklen Haar
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