Seelenschacher
aufzugeben.
»Weil wir eine Visitenkarte von Ihnen bei dem Toten gefunden haben und Ihre Fingerabdrücke überall in seiner Wohnung zu finden sind.«
»Also ist Buehlin tot.«
»Genau.«
»Wann ist er gestorben?«
»Wir stellen hier die Fragen. Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Vorvorgestern. Was für ein Tag war das?«
»Dienstag.«
»Dienstagvormittag.« Es schien seitdem ein halbes Jahr vergangen zu sein.
»Danach nicht mehr?«
»Nein. Wie gesagt, wir haben uns nur alle paar Monate einmal gesehen.«
»Ging es bei diesen Treffen auch nur um schnellen, anonymen Sex wie bei der Schauberger, oder haben Sie bei ihm Gefühle investiert?«
»Er war ein einsamer, alter Mann. Ich habe ihn ab und zu besucht und ihm zugehört. Wenn für Sie ein anregender Austausch immer eine Gürtelnutte und 50 Euro beinhalten muss, ist das überhaupt nicht mein Problem.«
»Sie kleiner Schwanzlutscher.« Moratti war aufgesprungen und wollte mir an die Gurgel. Polizeigewalt war mir bis jetzt nur in Form von kleinen Gehässigkeiten untergekommen. Das hätte sich jetzt geändert, wenn ihn Molnar nicht zurückgerufen hätte. Ihr Blick war eiskalt und strafend. Offenbar doch ein bisschen mehr als nur die Routine einer eingeübten »good cop-bad cop« Show. Als sie den Blick von ihrem schwarzledernen Dobermann abwandte und zu mir herübersah, meinte sie beiläufig: »Auf der Tatwaffe waren Ihre Fingerabdrücke. Massenhaft. Dafür haben Sie sicher eine gute Erklärung parat.« Danach sah sie wieder unverwandt auf Moratti.
»Sicher. Als ich bei ihm war, fiel mir auf, dass er in der Tasche seines Laborkittels einen Revolver trug.«
»Wie denn das?«
»Wer Augen hat zu sehen … ich hab so was schon ein paar Mal gesehen. Das merkt man sich.«
»Soso.«
»Genau, soso. Auf jeden Fall wollte ich ihm das Ding abnehmen, dabei hab ich’s in die Hand bekommen. Daher meine Spuren.«
»Warum wollten Sie es ihm abnehmen?«
»Buehlin war ein einsamer Spinner. Sozialphobie, fixe Vorstellungen. So jemand sollte keine Knarre in der Manteltasche mit sich herumtragen …«
»Aber genau solche Leute kommen immer an die Waffen.«
»… sonst hätte er irgendwann gemeint, dass die Aliens im Wohnzimmer sind, und hätte deswegen vielleicht die Kinder auf dem Spielplatz erschossen.«
»Hmm. Klingt logisch.«
»Wo waren Sie also gestern um drei?«
»Auf Besuch bei einer alten Freundin.«
»Name?«
»Muss das sein?«
»Alibiüberprüfung.«
»Korkarian Elena.« Ich gab den beiden auch gleich ihre Adresse und Handynummer. Zum Ersten wirkte das wirklich so, als ob ich sie schon länger kennen würde, zweitens war ich auch sicher, dass sie nicht sofort dem alten Korkarian über den Weg liefen. Trotzdem musste ich nachher sofort Elena anrufen und mehr Halbwahrheiten nachlegen.
»Wie haben Sie Buehlin kennengelernt?«
»Das war vor ein paar Jahren, kurz nach seiner Pensionierung. Da war noch ein bisschen mehr los mit ihm. Auf so ’ner Bastlerkonvention.«
»Was hatten Sie dort verloren?«
»Ich habe weit gestreute Interessen.«
»An was hat denn Buehlin so herumgebastelt? Wir haben die Werkstatt gesehen. Ausgerüstet war er ja sehr gut, aber wir haben überhaupt nichts gefunden, an dem er herumgewerkelt haben könnte.«
»Zum Schluss hat sich das bei ihm sehr erschöpft. Die eigene Obsession ist ihm im Weg gestanden. Vor lauter Perfektionismus brauchte er einen Tag, um eine Schraube reinzudrehen.«
»Was war das Letzte, an dem er so herumgebastelt hat?«
»Kann ich schwer sagen. Ich glaube, ein Rasenmäher vielleicht. Bin mir nicht sicher.«
»Wissen Sie, von was er gelebt hat?«
»Pension, nehm ich an.«
»Wissen tun Sie es nicht?«
»Genau. Darüber haben wir uns nie unterhalten.«
»Sicher nicht?«
»Nein. Wir waren beide ziemlich pleite, es hätte keinen Sinn gehabt, sich gegenseitig anzupumpen.«
»Na gut. Dann wars das für diesmal, ich denke, Sie können gehen.« Moratti warf Molnar einen Blick zu, sie nickte bloß. Dreieinhalb Minuten später war ich wieder draußen. Am Ring unter den Bäumen, im Schatten. Autos dröhnten vorbei, ein paar Passanten waren unterwegs, aber das war mir alles recht egal. In mir starb der Schnaps, und das war kein Spaß. Mein Mund fühlte sich taub an, das Zahnfleisch brannte und die alkoholinduzierte Euphorie war einer bleiernen Depression gewichen. Jetzt, wo das Adrenalin, das durch den Polizeitermin ausgeschüttet worden war, zurückging, fiel ich in mich zusammen wie ein
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