Seelenschacher
Wasserglas war leer, aber Wasser war da sicher keins drin gewesen. Der Typ hatte fettiges blondes Haar, halblang bis auf die Schultern. Er war entsetzlich dünn, die braun-grauen Klamotten schlotterten ihm um den Leib und seinen Augen wohnte ein fiebriger Glanz inne. Er wirkte wie einer, der in den Siebzigern das Studieren zu Gunsten des Saufens aufgegeben hatte.
»Des kummt vo die Weiba. Deswegen geht die Welt vor die Hund. Seit die Suffragetten wird’s immer schlimmer. Je mehr Emanzipation, desto mehr Katastrophen. Zuerst der Erste Weltkrieg, dann der Zweite. Holocaust, Atombomben, Umweltverschmutzung, Klimaerwärmung. Je mehr die Frauen das Sagen ham, umso schlimmer wird’s.«
»Ah, so eine Bledsinn«, meinte der mit dem Goldring. Vom hinteren Tisch kam keine Antwort mehr. Der Säufer hatte sich wieder in seine eigene Welt zurückgezogen. Vielleicht auch besser so, ich wollte gar nicht so genau wissen, wem die anderen hier drinnen die Schuld für das Unglück der Welt gaben.
»Also, was willst denn von mir?«, fragte mich Kurti ein bisschen später.
»Sollen wir nicht woanders hingehen?«
»Ist kein Problem. Kannst ruhig offen reden.«
»Es geht um deine Hilfe.«
»Denk ich mir. Des wird nix werdn. Bin in Pension.«
Kurti ist der Einbrecherkönig von Wien. 20.000 Brüche, 15 Verurteilungen. Seit ein paar Jahren ist er im Ruhestand, schließlich ist er 69. Nebenbei berät er die Wiener Polizei, wenn die mal auf eine Tür stößt, die sie nicht aufkriegt. Außerdem gibt er eine Sicherheitsbroschüre heraus, die sich mit Einbruchsverhinderung auseinandersetzt. Die Sache läuft ziemlich gut, weil jeder Einbrecher sich da die Tipps vom Chef persönlich holen kann. Von irgendwas muss Kurti schließlich auch leben, weil mit Rente ist nix los bei ihm. Wenigstens hat ihm ein Sozialarbeiter der Stadt Wien eine Wohnung besorgt, wo er mit seiner Mutter und dem Familienkanarienvogel wohnt. Der Kanari heißt übrigens tatsächlich Hansi-Burli, aber das nur nebenbei.
Kurti ist etwa einssiebzig groß, mit Bauchansatz und weißem Haar. Trotz seines Alters strahlt sein Gesicht etwas kindlich Unbekümmertes aus. Wenn man nicht genau hinschaut, meint man, einen neunjährigen Lausbuben mit Latzhose vor sich zu haben. Einen von der Art, dem nie jemand böse sein kann, auch dann nicht, wenn er für den Glasermeister die Fensterscheiben der Umgebung einwirft.
Kennengelernt haben wir uns, als ich noch für Bender arbeitete und Kurti zur Hand gehen sollte. Sehr geschickt hatte ich mich dabei zwar nicht angestellt, doch wir hatten gekriegt, was Bender wollte, und nebenher ziemlich viel Spaß gehabt. Später hatte er mir die alte, lederne Arzttasche geschenkt, in der ich seitdem meine Siebensachen der Wissenschaft transportiere.
»Es geht gar nicht um einen möglichen Verdienst, streng genommen bleibst du also im Ruhestand. Das Ganze ist mehr ein humanitärer Hilfseinsatz.«
Ich erzählte Kurti die ganze Story, natürlich mit Betonung auf den Tod von der Schauberger und die Trauer ihres Freundes. Nebenher würzte ich sie noch ein bisschen mit Religion und Kirche, Kurti als Arbeiterkind war streng antiklerikal eingestellt, und er saß mir am Haken.
»Aber des werma bis murgn net hinkriegn. Den miaßma zerst observieren.«
»Wir haben keine Wochen Zeit. Das Ganze sollte spätestens bis morgen Mitternacht über die Bühne gegangen sein.«
»Des wird sie net spüln. Facharbeit braucht Zeit.«
»Du kannst dir heute noch alles anschauen und morgen den ganzen Tag. Das wird reichen müssen.«
Kurti war neugierig geworden. Er willigte ein.
»Was meinst du, hat er die brisanten Papiere eher bei sich zu Haus oder im Büro?«
»Bei sich daham. Ganz sicher. So was lassn die net im Büro liegn.«
»Dann setzen wir uns ins Auto und warten. Wenn’s Haus dann leer ist …«
»Was, wenn er net weggeht?«
»Wird er schon machen.«
»Warum bist so sicher?«
»Vertrau mir.«
»Außerdem brauch ma noch an Fahrer.«
»Kann ich nicht fahren?«
»Na. Heutzutag ham die Häuser gern Schlösser, wo ma vier Händ braucht. Und dann miaß ma schnö abhauen.«
»Gut, Fahrer ist kein Problem, da stell ich schon einen auf.«
»Wo issn des Ganze?«
»Ich hab die Adresse, allerdings nur im Netz. Muss ich zuerst ausdrucken …«
»Komme mit, kannst bei mir machen«, meinte Goldring.
Also standen wir auf, zahlten und wollten gehen.
»Herst, da hots da a Wasser gmacht, bacherlwarm, und du trinksts net!«, raunzte der Chef.
Ich drehte mich um
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