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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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holte die Knarre wieder raus, entsicherte und öffnete die Tür ganz. Da er mich sowieso im Fenster sehen würde, war es nicht nötig, leise zu sein.
    Kana schien ziemlich in Gedanken versunken, denn er drehte sich erst um, als ich schon ein paar Schritte auf ihn zu gemacht hatte. Er trug einen bordeauxroten Morgenmantel mit dunkelblauem Muster. Das, was er in seiner Rechten hielt, war ein geschliffenes Bleikristallglas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit. Sein fleischiges Gesicht mit der gerundeten Nase zierten zwei Pflaster, auf jeder seiner Backen saß eins. Ein leichter Kratzer auf der Stirn war unbehandelt geblieben.
    »Sie? Hätte ich mir denken können.« Er wirkte enorm beherrscht und wies mir einen Platz in der Sitzecke zu. Die stand neben der Tür im Winkel, wo sich auch ein Kamin befand, über dem tatsächlich ein Gepardenschädel hing. Wäre die Monster Glock in meiner Hand eine elegante Beretta gewesen und mein zerknautschtes H&M Jackett ein Bespoke-Smoking, hätten wir zwei gut in einen Bond Film gepasst. Ich fragte mich unwillkürlich, ob Kana die Sache ähnlich sah.
    »Der Hausherr setzt sich zuerst.«
    Er nickte nur und ließ sich in die Kissen plumpsen. Ich zog mir einen Schemel zurecht und setzte mich ihm gegenüber. Seine eine Hand hielt nach wie vor das Glas, die andere lag ruhig auf seinem Oberschenkel, dann wanderte sie langsam zu seiner Brusttasche. Ich schüttelte den Kopf, seine Bewegung fror ein.
    »Ich will nur eine rauchen. Ich trage keine Waffe. Ehrlich gesagt, besitze ich nicht mal eine.«
    »Wegen einer Knarre mach ich mir auch keine Sorgen. Wir sind ja nicht in einem Western. Mehr Sorge bereitet mir die Vorstellung, dass Sie da ein Handy drin haben könnten.«
    »Das Handy liegt oben, neben dem Bett.«
    »Fein.«
    Mensch, was bin ich für ein Trottel, schoss es mir durch den Kopf. Jeder vernünftige Mensch hätte zuerst danach gesucht. Wieder was gelernt.
    »Also darf ich rauchen?«
    »Sicher.«
    »Gut.« Er holte ein ledernes Etui heraus. Darin befanden sich ein paar Zigarren und Balsaholz. Nach dem üblichen Ritual, Spitze schneiden, Holz anzünden, dann langsam anrauchen, blickte er wieder zu mir. Auf die Uhr, die in die Bücherwand eingelassen war, hatte ich gute Sicht. Fünf vor drei. Die beiden waren etwa zehn Minuten weg. Er spielte auf Zeit. Die Wanduhr tickte. Die Zigarre qualmte. Entweder konnte er nicht rauchen oder war nervös. Die Uhr tickte erbarmungslos weiter.
    »Hätte ich mir denken können, dass Sie auftauchen. Vor allem heute Nacht. Es scheint alles schiefzugehen.«
    »Gut möglich.«
    »Also, was wollen Sie?«
    »Dreimal dürfen Sie raten.«
    »Ich hab die Papiere nicht hier. Und wenn ich sie hier hätte, dann würd ich sie Ihnen niemals geben. Vorschlag zur Güte, stecken Sie Ihre Kanone weg und machen sich auf den Weg zu Korkarian.«
    »Woher wissen Sie, dass ich für ihn arbeite?«
    »Hat mir Elena erzählt.«
    »Ein nettes Mädchen.«
    »Kein Mädchen, eine bemerkenswerte Frau.«
    »Und trotzdem heute eine andere?«
    »Jede Nacht Kaviar ist auch fad.«
    Es muss eine seltsame Welt sein, in der ein Mensch lebt, der zu Fischeiern und Frauen dieselbe Einstellung hat. Wie so oft dachte ich mir, dass Gott entweder nicht existiert oder wenn er doch existiert, was ich nicht glaube, muss er einen sehr exaltierten Sinn für Humor haben.
    »Warum teilen Sie und Korkarian eigentlich nicht das Geld? Sie müssten sich nur einigen, ist doch nicht so schwer.«
    Kana lächelte abschätzig.
    »Sie sind ein Idiot. Solange ich die Beweise habe, hebt er nicht ab. Sobald ich die Beweise vernichtet habe, ist das Geld auch weg, mitsamt dem alten Juden.«
    Ich lachte innerlich. Das war das klassische ›Gefangenen-Dilemma‹ aus der Spieltheorie. Zwei verhaftete Einbrecher müssen nur schweigen, um je zu einem Jahr verurteilt zu werden. Da beide durch Beschuldigung des Partners hoffen freizukommen, werden beide zu zehn Jahren verurteilt. Zusammenarbeit und Vertrauen führen zum sicheren Erfolg, Misstrauen und Egoismus sind immer stärker, schließlich verlieren alle. Das ganze menschliche Leben scheint darauf aufzubauen.
    »Er ist kein Jude, sondern Armenier.«
    »Den Bären bindet er allen auf. Die Leute sollen glauben, dass er bloß so tut. Aber in Wirklichkeit stimmt das gar nicht.« Der Banause strich die Asche von seiner Zigarre ab und rauchte weiter. »Es scheint, Sie arbeiten noch nicht lange für ihn. Sie werden schon noch Ihr blaues Wunder erleben, der Kerl ist eine Maske,

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