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Seelensplitter: Thriller (German Edition)

Seelensplitter: Thriller (German Edition)

Titel: Seelensplitter: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koglin
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zweifellos Macht demonstrieren. Aber mit welcher Absicht?
    Lina nimmt das Telefon, ruft Che an, legt auf und wählt erneut seine Nummer. Seine Mailbox springt an, und sie hinterlässt ihm eine knappe Nachricht vom Tod Irene Heises.
    Sie schenkt sich Wein nach, versucht sich abzulenken, nicht mehr an die tote alte Frau zu denken, schaut aus dem Fenster auf den abendlichen Verkehr hinunter, der langsam abebbt, zappt sich dann eine Weile durchs Fernsehprogramm und bleibt schließlich bei einer Doku über Erdmännchen hängen. Dann läutet ihr Handy. Anonymer Anrufer.
    Eine Roboterstimme meldet sich, von der sie nicht sagen kann, ob ein Mann oder eine Frau dahintersteckt.
    »Ich bin bei dir«, sagt die Stimme.
    Lina schweigt und lauscht in den Hörer.
    »Du wirst dich erinnern, Lina. Verlass dich darauf. Du musst dich erinnern.«
    Die Stimme schweigt kurz und beginnt dann leise zu singen: »Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht, mit Messern besteckt, schlüpf unter die Deck!«
    »Was soll das, verflucht?«, schreit Lina in den Hörer.
    »Schlaf gut, Lina. Ich werde immer bei dir sein. Niemand darf dich quälen, auch Ralf nicht. Der böse Ralf ist tot. Achte auf dein Schwesterlein.«
    Es summt. Dann bricht die Verbindung ab. Wie betäubt und mit einem pelzigen Geschmack auf der Zunge legt Lina den Hörer auf.
    Sie springt mit einem Satz auf, reißt ihre Jeansjacke vom Haken und wirft die Handys in ihre Handtasche. Dann stürzt sie aus der Wohnung und winkt unten auf der Straße das erste vorbeifahrende Taxi heran. Zwanzig Minuten später steht sie vor dem Eingang zum Altenstift in der Koppel. Che reagiert nicht auf ihr Klingeln. Sie tritt einige Schritte zurück, sieht zu den Dachfenstern hoch und meint, ein schwaches Licht zu erkennen. Erneut ruft sie Che an, wieder springt nur der Anrufbeantworter an. Sein Handy ist ausgeschaltet.
    Notfalls wird sie drüben beim Hauptbahnhof im Hotel Reichshof einchecken, wenn Che auch später nicht auftaucht. Sie überlegt, wohin sie in der Zwischenzeit gehen kann. Che hat ihr von der Bar im Reichshof erzählt, von den Abenden, an denen dort ein Pianist spielt und man in Plüschsesseln gute Cocktails genießen kann. Auf ihrem Weg wirft sie einen flüchtigen Blick in die Kneipe »Alter Ritter«, überquert dann die Straße zum Hotel Reichshof. Sich ungeschützt auf offener Straße zu bewegen, macht ihr jetzt Angst. Hier ist sie angreifbar. Was hat der Anrufer damit gemeint, dass sie auf ihr »Schwesterlein« aufpassen soll? Abfällig klang das. Ist Antje Kernel damit gemeint?
    Weg von der Straße, an einen belebten Ort.
    Als sie sich in ihrer Jeansjacke durch die Drehtür des Hotels quetscht, sehen zwei Portiers sie überrascht an.
    »Ich muss … nein, wo finde ich denn bitte die Bar?«
    Die Portiers zeigen ihr den Weg und wünschen einen schönen Aufenthalt. Sie könnte die beiden Männer in diesem Moment umarmen. Offene, freundliche Gesichter und keine weiteren Fragen.
    Die Bar heißt nicht nur »Ricks Café«, sie sieht auch so aus. Schwere rote Sessel mit außergewöhnlich großen Sitzflächen, der Barkeeper im weißen Hemd mit grüner Weste, dazu ein Tresen, der gut in einen Schwarzweißfilm passen würde.
    Das Piano ist verwaist, und nur wenige der bequemen Sessel sind besetzt, vornehmlich von Gästen deutlich fortgeschritteneren Alters. Im hinteren Teil entdeckt Lina den seitlich neben einem Sessel herunterhängenden Arm eines Mannes, der anscheinend in einem auf seinen Knien liegenden Buch blättert.
    »Was darf ich Ihnen bringen?«, fragt der Barkeeper sie.
    Lina bestellt sich einen Single Malt. Pelzigen Geschmack im Mund soll man mit einem moorigen Getränk behandeln, hat sie irgendwann mal gelesen.
    Sie geht vor zu dem Sessel und lacht erleichtert auf. Vor ihr sitzt Che Ling mit einem Buch auf den Knien, das gut und gern das Ausmaß von zwei übereinandergelegten Bibeln hat. Er trägt ein weißes, leicht zerknittertes Hemd, eine Fliege und einen abgewetzten Smoking und starrt sie an, als wäre sie eine Erscheinung.
    »Lina!«, sagt er und springt auf.
    »Was um …«
    »Es tut mir leid, aber …«
    »Kostümball?«, fragt Lina.
    Che bittet sie, Platz zu nehmen, und gesteht, dass er sich manchmal zurückziehen muss von der Welt. Er stochert in seinem Mojito und sagt: »Es klingt vielleicht albern. Hier sitzen und ein wenig lesen, das ist wie Urlaub in einer anderen Zeit …«
    »Und dann liest du den Großen Gatsby?«, fragt Lina und zeigt auf das aufgeschlagene

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