Seelensplitter: Thriller (German Edition)
besonders kleiner Fisch mit einem ungewöhnlich breiten Maul die Glasscheibe absaugt.
Che bemerkt ihren Blick und sagt: »Kommt jetzt eine chinesische Glückskeksweisheit?«
Lina nickt. »Das Leben ist wie im Aquarium. Eine Glasscheibe vorne und eine hinten, man kann hindurchsehen, sie aber nie durchbrechen.«
»Und was siehst du, wenn du an der Glasscheibe schwimmst?«
»Das unerreichbare, bunte Leben … Che, ich sollte schneller und mehr trinken.«
»Du wirst dich erinnern«, sagt Che. »Irgendwann bestimmt.«
»Warum wohl Sven nicht anruft?«, fragt Lina. »Entweder türmen sich da dicke Wolken auf, oder aber die Kollegen haben mich schon längst am unsichtbaren Haken.«
Lina verbringt den nächsten Tag damit, »normal« zu sein. Sie ruft bei der Internen an und fragt, wann sie ihren Dienst wieder antreten kann. Sie solle sich etwas gedulden, heißt es, nein, lang könne es nicht mehr dauern, meint der Beamte knapp. Kein Wort über Carolin, kein Wort über den toten Carlheim in Spanien, kein Wort über Astrid.
Sie macht einen Spaziergang zur Wache. Als Alex sie an der Tür sieht, macht er ein skeptisches Gesicht, als fürchte er, dass Lina erneut seine Pension aufs Spiel setzt. Sie trinken Kaffee miteinander. Alex erzählt von seiner Tochter, die sich dringend einen Computer wünscht, obwohl sie erst elf ist, und von dem langweiligen Eric, der als Linas Vertretung neben ihm im Wagen sitzt. Dann fragt er Lina mit Verschwörerstimme: »Alles in Ordnung mit dir?« Lina sagt, dass sie bald wieder neben ihm im Streifenwagen sitzen wird. Daran glaubt sie allerdings nicht.
Den Nachmittag verbringt Lina damit, sich Jeans und T-Shirts und Hemden zu kaufen, dann setzt sie sich in einen Billardsalon und sieht mit einem Bier in der Hand den Spielern zu.
Ein Jugendlicher fragt sie, ob sie nicht vielleicht eine Partie spielen möchte. Lina sagt zu, was für einen überraschten Ausdruck im Gesicht des Jugendlichen und für einen skeptischen Blickwechsel mit seinen beiden Freunden sorgt. Zwei gegen zwei. Lina wählt einen Queue und versenkt bereits mit dem Anstoß zwei Volle. Erstaunte Gesichter und ein Nicken ihres Partners, als sie eine weitere Volle in das Mittelloch spielt und mit Effet dafür sorgt, dass der weiße Spielball so zurückläuft, dass eine gute Position für einen weiteren Stoß liegen bleibt.
Billard zu spielen hatte ihr schon als junge Frau geholfen. Dieses Spiel ermöglichte ihr, in Kneipen zu gehen und während des Spiels ganz bei sich zu sein. Eine Spielerin wurde nicht vollgequatscht. Man spielte, trank sein Bier, und wenn man Lust hatte, verlor man ein paar Bemerkungen über die letzte Partie. Sie hasst Gerede an der Bar mit angetrunkenen Langweilern, die immer den gleichen Mist erzählen oder ihr mit angeblichen Heldentaten aus der Vergangenheit die Ohren abkauen. An den Billardtisch traut sich in der Regel keiner dieser verhinderten Familienväter, Künstler oder Übriggebliebenen, die am Tresen alles wollen, nur nicht aus der Welt ihrer zusammenfantasierten Vergangenheit gerissen werden.
Vielleicht sollte ich regelmäßig Billard spielen, denkt Lina, die mit ihrem Partner die erste Partie gewinnt und auch die zweite für ihr Team entscheiden kann. Seltsam, dass sie zum ersten Mal hier ist, obwohl sie ganz in der Nähe wohnt. Sollte sie aus dem Polizeidienst verabschiedet werden, weiß sie wenigstens, womit sie ihre Nachmittage und Abende verbringen wird.
Draußen rast ein Polizeiwagen mit Blaulicht vorbei, gefolgt von einem zweiten und einem dritten. Lina will sich eben ein neues Bier bestellen, als eines ihrer Handys klingelt. Der Melodie zufolge ist es ihre alte Nummer.
»Sven Emmert« steht auf dem Display.
Wird auch Zeit, denkt Lina und bedeutet ihren Mitspielern, dass sie jetzt telefonieren müsse und man ohne sie weiterspielen möge.
»Wo bist du?«, fragt Sven. Er klingt atemlos.
»Versuch’s mit einer GPS-Ortung«, erwidert Lina.
»Red keinen Unsinn, es ist wichtig.«
»In der Nähe meiner Wohnung. Ich bereite mich auf meine Pensionierung vor.«
»Du musst in deine Wohnung kommen«, sagt er.
»Ich möchte …«
»Sofort«, sagt Sven und bricht das Gespräch ab.
Lina zahlt das Bier, winkt den Jugendlichen zu und macht sich auf den Weg.
Urlaub zu Ende, denkt sie und sieht schon von Weitem die rotierenden Blaulichter der Polizeifahrzeuge, die vor ihrem Hauseingang stehen. Nach Festnahme oder Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses sieht das nicht aus, denkt sie. Sie
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