Seelensplitter - Unsterblich wider Willen (German Edition)
ohne jeden Zweifel absolut fabelhaft aussehen. Um die alte, nun mit Sicherheit nicht mehr so lebendige, Frau dort am Boden machte er sich auch keine Gedanken.
Er hatte schließlich viel wichtigere Dinge zu erledigen. Zum Beispiel musste er dringend in Erfahrung bringen, was das braunhaarige Mädchen gestern Abend mit ihm angestellt hatte. Denn irgendetwas musste sie ja getan haben. Wie sonst sollte sie einen solchen Angriff wie den am vergangenen Tage überleben können?
~*~
Nun lag sie hier schon seit Stunden auf ihrem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und versuchte verzweifelt, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
Doch egal, wie sie es auch drehte und wendete, egal, was sie auch versuchte – es nützte ja doch nichts. Noch immer fühlte sie sich wie ein Blinder am Wühltisch. Alles und jeder zerrte an ihr herum, während sie selbst versuchte, nach etwas zu greifen, was sie einfach nicht sehen konnte, von dem sie aber trotzdem wusste, dass es da war!
Immer und immer wieder stellte sie sich die gleichen Fragen. War sie denn wirklich davon überzeugt, dass sie überfallen worden war? Vielleicht hatten ihre Eltern ja doch Recht. Vielleicht hatte sie sich den Angriff ja auch nur eingebildet. Doch dies wollte, nein, dies konnte sie einfach nicht glauben. Sie war nicht verrückt! Melica war sich sicher, dass sie kein Opfer ihres Verstandes geworden war. Sie musste überfallen worden sein!
Doch warum? Warum wurde sie überwältigt und an eine harte Wand gepresst, nur, um wenige Minuten später wieder losgelassen zu werden? Und vor allem von was? Was fiel grundlos Menschen an?
Melica fand keine Antwort darauf. Doch so seltsam es auch klang – es war nicht einmal der Überfall, der sie am meisten verängstigte. Nein, das, was ihr wirklich das Blut in den Adern gefrieren ließ, war der Gedanke daran, Jim zurückzulassen. Sie brauchte ihn. Jim war der Mittelpunkt ihres Lebens, alles, worum sich ihre Gedanken und Träume drehten. Ohne sie war er nicht er, ohne ihn war sie nicht sie. Es mochte sein, dass sie ohne ihn überleben konnte, doch sie wäre nicht mehr sie selbst. Und dies war zweifellos das, was ihre Eltern mit ihrem Vorhaben erreichen wollten.
Melicas Gedanken wurden von einem leisen Pochen unterbrochen. Genervt ruckte sie ihren Kopf in Richtung Tür.
„Ist offen!“
Langsam schwang die Tür auf und Paula streckte ihren Kopf ins Zimmer. „Ich soll dir von Mummy sagen, dass-“ Sie stockte, ihre braunen Augen weiteten sich erschrocken. „Ist was passiert?“
Melica wusste, dass sie schrecklich aussehen musste. Sie zwang sich ein leichtes Lächeln auf die Lippen, war sich jedoch sicher, dass es mehr als nur gequält ausfiel. „Sie wollen mich wegschicken.“
„Wer?“, machte Paula verwirrt. „Mummy und Daddy?“
„Wer denn sonst?“, knurrte Melica aufgebracht. Als ihr Blick jedoch auf Paulas verletztes Gesicht fiel, sackte sie etwas in sich zusammen. „Tut mir Leid. Du kannst ja auch nichts dafür.“
Paula ließ ein verstörtes Schnauben hören. „Aber sie können dich doch nicht einfach wegschicken! Du wohnst doch hier!“
„Sieht ganz so aus, als ob sie es doch könnten. Sag mal – was wolltest du mir eigentlich sagen?“
„Mummy bekommt Besuch. Du sollst dich fertig machen.“
Melica stöhnte auf. „Das hat mir ja gerade noch gefehlt…“
Wenn sie sich entscheiden müsste, ob sie lieber stundenlang in einem Zoogehege voller blutrünstiger Löwen eingesperrt wäre oder ob sie lieber einer Freundin ihrer Mutter begegnen würde – sie würde glatt die Löwen wählen.
Ein lautes Kichern riss Melica aus ihren Grübeleien. Irritiert starrte sie ihre kleine Schwester an. „Warum lachst du?“
„Wenn wir zaubern könnten“, begann Paula glucksend. „Dann könnten wir Mummy und Daddy in Frösche verwandeln. Und dann könnten sie dich gar nicht mehr wegschicken.“
Melica machte ein verdutztes Gesicht. „Jaah…nur schade, dass wir nicht zaubern können.“ Sie hatte keine Ahnung, was Paula ihr damit sagen wollte und sie fragte sich ernsthaft, ob sie es überhaupt wissen wollte. Frösche? Zaubern?
Ihre Schwester warf ihr einen begeisterten Blick zu. „Noch nicht – aber bald!“
„Ach?“
„Na klar! Bald werde ich doch 11 und bekomme meinen Brief!“
„Deinen Brief?“ So langsam bekam Melica das Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben. „Paula – wovon redest du?“
Paula schien ernsthaft verwirrt zu sein. „Meinen Brief“, sagte sie mit gerunzelter
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