Seelensturm
ich ihn nicht aus den Augen ließ.
»Ich weiß, aber näher kann ich dich nicht ertragen, ohne dass ich für deine Sicherheit garantieren kann.«
Was sollte das nun wieder bedeuten? Traute er sich selbst nicht über den Weg? Ich trat noch einen Schritt zurück. Sicher war sicher!
»Danke, so ist es schon besser«, rief er und in seiner Stimme konnte ich eine deutliche Entspannung hören. Hatte sein Leid etwas mit meiner Nähe zu tun?
Er setzte sich auf einen kleinen Felsen direkt neben der Rutschbahn und ich sah mich auch nach einer Sitzgelegenheit um. Ich fand aber nichts, sodass ich kurz überlegte, ob ich mich in den Sand setzen sollte oder nicht. Dadurch wäre ich leichter angreifbar. Nein, so leicht wollte ich es ihm nicht machen, daher beschloss ich, lieber stehen zu bleiben.
»Was passiert mit dir, wenn ich näherkomme?«, fragte ich neugierig. Schon bei unserer letzten Begegnung war mir aufgefallen, dass er irgendwie litt. Ich konnte es mir jedoch nicht erklären, geschweige denn vorstellen, dass ich wirklich der Auslöser dafür sein konnte.
»Das weißt du nicht?«, rief er erstaunt und verschränkte seine Arme.
»Nein, woher soll ich das denn wissen? Es ist das erste Mal, dass mir jemand den Kopf abschlagen will«, gab ich sarkastisch zurück. Doch insgeheim ärgerte es mich, dass ich nicht über alles informiert war, was die Illustris betraf.
Er lachte laut auf, sodass der tiefe Hall seiner Stimme ein kleines Echo von sich gab. »Eines muss ich dir lassen, Mea Suna! Du hast in all dem Schrecken deinen Humor behalten, das tun nicht alle Illustris. Hat dir denn niemand gesagt, was ihr mit uns Taluris anstellt?«
Ich schüttelte den Kopf und war gespannt auf seine Antwort.
»Du willst mir ernsthaft sagen, dass du das nicht weißt?«, fragte er ungläubig. Verblüfft sah er mich an. Unangenehm war es mir schon, dies zugeben zu müssen, trotzdem wollte ich es unbedingt wissen. Ich schüttelte noch einmal mit dem Kopf.
»Nein, sag es mir.«
Er überlegte eine Weile. »Wir können eure Gegenwart spüren. Es fängt an, in uns zu brennen, je näher wir euch kommen. Ich falle in eine Art Blutrausch, wenn du neben mir stehst. Dieses Brennen schürt eine Glut, die nur durch deine Enthauptung gelöscht werden kann. Verstehst du? Deshalb möchte ich nicht, dass du näherkommst. Ich habe versprochen, dir nichts anzutun. Und ich halte für gewöhnlich meine Versprechen.«
Völlig baff hatte ich alles, was er mir sagte, aufgesogen. Dies erklärte auch, warum er mich damals, als er Matteo von mir weggezogen hatte, anschrie, ich solle verschwinden. Jetzt verstand ich seinen gequälten Gesichtsausdruck, als wir uns das erste Mal sahen. Instinktiv trat ich noch zwei Schritte zurück. Ich wollte nicht, dass er ... Ja, was? Leidet? Oder Schmerzen ertrug? Wegen mir? Was war mit mir los? Er war mein Feind! Er wollte meine Schwester töten und bestimmt auch mich, wenn er erfahren würde, dass Amy und ich Zwillinge waren. Ich schluckte und zwang meine Gedanken und Gefühle zur Ordnung.
»Das heißt, dein Körper reagiert auf mich? Du musst einen Abstand zu mir halten, damit dieser Rausch nicht Besitz von dir ergreift?« Nahm er sich absichtlich für mich zurück? Aber warum? Und warum konnte Amy Matteo damals im Club so nahe sein? War sie wirklich eine Illustris? Oder lag es an ihrer Fähigkeit, ihre Aura abzustellen? Aber viel wichtiger war für mich im Augenblick die Frage, warum er seinen Auftrag nicht erfüllte.
»Warum tust du das? Ich meine, warum hast du mich noch nicht getötet? Das ergibt für mich einfach keinen Sinn«, sagte ich mehr zu mir selbst.
Er sah nachdenklich aus und je länger ich mich mit ihm unterhielt, wuchs meine Neugier. »Das kann ich dir nicht sagen, noch nicht. Vielleicht wollte ich einfach hinter die Maske der Illustris blicken. Du kannst mir glauben, dass mir das noch nie passiert ist. Und es ist nicht leicht, da ich ständig erwischt werden könnte. Mein Auftrag ist seit meinem 12. Lebensjahr klar. Ich spiele mit meinem Leben, genauso wie du deines aufs Spiel setzt, wenn du dich hier mit mir triffst.«
»Du bringst dich mit dem Treffen in Gefahr? Was ist mit deinem Freund?«
»Matteo? Nein, auch wenn er dich angegriffen hat, vor ihm bist du vorerst sicher. Du brauchst dich vor ihm nicht zu fürchten.«
Das Funkgerät rauschte wieder und machte mir bewusst, dass ich mich an meinen Zeitplan halten musste. Kurz sah ich auf die Uhr. Noch hatte ich Zeit und zu meiner Überraschung
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