Seelensturm
ich zu spüren, dass er schlechte Laune hatte. Obwohl ich ihn bisher nur als freundlichen und fröhlichen Menschen kannte. Er machte ein grimmiges Gesicht, sprach nicht viel mit mir und gab mir nur kurze und knappe Anweisungen. Seine Anforderungen an diesem Morgen waren hoch und ich hatte Mühe, ihn zufriedenzustellen. Ich verlor jeden Kampf, während er mich erbarmungslos weiter zu neuen Bestleistungen antrieb.
»Mr. Chang, ich brauche eine Pause, bitte«, bat ich ihn, doch er überhörte meine Bitte einfach und trieb mich weiter. So lange wie möglich versuchte ich, seinem Rhythmus zu folgen. Es waren zwar immer wieder die gleichen Bewegungsabläufe, trotzdem erschienen sie mir anstrengender als sonst.
»Weiter Jade, immer weiter. Und vergiss das Atmen nicht. Deine Muskeln müssen brennen, erst dann fängt alles an, richtig zu arbeiten, verstehst du?«
Ich biss die Zähne zusammen und tat, was er von mir verlangte. Auch wenn er an diesem Morgen etwas ruppig war, wusste er, was er tat. Ich wollte so schnell wie möglich alles lernen und so fit werden, dass ich es jederzeit mit einem Taluri aufnehmen konnte. Insgeheim glaubte ich nicht daran, einen richtigen Kampf je zu überleben. Eine gewisse Zeit würde ich einen Taluri bestimmt aufhalten können. Lange genug, dass meine Schwester sich mit Onkel Finley in Sicherheit bringen konnte. Beim Krafttraining kam ich an meine Grenzen. Mr. Chang vermied es, in mein Gesicht zu sehen, während ich stöhnend die Übungen hinter mich brachte. Er hatte kein Erbarmen, mein Körper gab nach, was zur Folge hatte, dass meine Glieder schmerzten und ich einfach auf der Matte schwer atmend liegen blieb. Da hatte er endlich ein Einsehen und entließ mich aus der Trainingsfolter. Er warf mir ein Handtuch entgegen, das ich gerade noch sitzend auffangen konnte.
»Ich bin sehr zufrieden mit dir. Du gehst jetzt bei jedem Training ein Stück weiter. In den nächsten Stunden werden wir das Tempo beim Stockkampf und auch beim Nahkampf erhöhen«, sagte er. Er lächelte diesmal nicht, sondern sagte es tonlos. Ich fragte mich, welche Laus ihm über die Leber gelaufen war.
»Du kommst heute Abend mit Amy wieder, dann könnt ihr weitermachen.« Der Schweiß strömte aus meinen Poren und ich sehnte mich nach einer Dusche. Ich stand von der Matte auf und legte das Handtuch um meinen Hals.
Mr. Chang überlegte. »Heute Abend kann ich euer Training nicht betreuen, Jade. Ich möchte aber, dass du weiter an deiner Technik übst.«
Es war noch nie vorgekommen, dass Mr. Chang bei einer Trainingseinheit nicht dabei sein konnte. Seit er uns trainierte, lebte er abgeschieden in dem kleinen Gästehaus, das sich gleich neben der Trainingshalle befand. Ich hatte keine Ahnung, ob er eine Familie hatte oder ob er schon immer alleine lebte. Eigentlich wusste ich nichts über ihn, außer, dass er ein ausgezeichneter Trainer war. Mein Interesse beschränkte sich darauf, dass er mich trainierte und uns viel beibrachte. Hatte er etwa eine Verabredung? Ich fragte natürlich nicht, sondern nickte nur stumm. Schließlich konnte ich auch allein mit Amy üben.
Alegra war noch keine zwei Tage fort, da hatte Amy für Wiedergutmachung gesorgt. Die teuren Schuhe, deren Absätze sie abgesägt hatte, wurden durch einen großzügigen Einkaufsgutschein wieder ersetzt. Der Betrag war zwar sehr hoch, doch den Wert der Schuhe, die Amy mutwillig zerstört hatte, konnte man nicht gerade als gering bezeichnen. Onkel Finley hatte darauf bestanden, dass meine Schwester den Gutschein von ihrem eigenen Konto bezahlte. Zähneknirschend gab sie nach, jedoch ließ sie sich einige Flüche darüber nicht nehmen.
Frisch geduscht, aber erschöpft vom Training, traf ich Mr. Tramonti, Amy, und Onkel Finley beim Frühstück in der Küche.
»Ich hoffe, es wird dir eine Lehre sein. Das nächste Mal kommst du nicht mehr so glimpflich davon«, verkündete Onkel Finley meiner Schwester, die sich gerade eine Tasse Kaffee von Agnes einschenken ließ. Mr. Tramonti grinste, während Amy mal wieder ihre Augen verdrehte. Sie sah zwar ihren Fehler ein, doch nagte die fällige Entschuldigung an ihr.
»Guten Morgen zusammen«, sagte ich in die Runde, vermied es aber, meinen Onkel dabei anzusehen. Weiß, Rot, Rosa und Orange waren die Farben, die nur Amy sehen konnte. Gott sei Dank, dachte ich, sonst wüsste Onkel Finley sehr schnell, dass meine Schwester und ich ihm etwas verschwiegen. Nur Amy warf mir einen vielsagenden Blick zu, als Agnes mir
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