Seelensturm
Freundlichkeit haben wollte. Trotzdem wussten die Taluris immer noch nicht, dass wir Zwillinge waren, dies blieb ihnen bisher verborgen. Und das war gut so. Es war eine Frage der Zeit, bis sie es herausfinden würden und bis dahin könnte Amy schon fort sein. Ich könnte dieses Versteckspiel weiter aufrechterhalten. Zumindest, bis Onkel Finley und Amy einen großen Vorsprung hatten und die Spuren verwischt waren. Es war die Chance für die Illustris, den Taluris zu entkommen. Meinem Plan würde Onkel Finley niemals zustimmen, doch wenn ich Mr. Chang einweihte und ihn auf meine Seite zog, hätte ich zumindest einen Fürsprecher.
Plötzlich wurden meine Gedanken durch Kratzgeräusche an der Fensterscheibe unterbrochen. Sofort setzte ich mich aufrecht hin. In der ersten Schrecksekunde blieb mir fast das Herz stehen, als ich die riesige Maorikrähe auf der Fensterbank wahrnahm. Sofort wich die Angst und Vertrautheit durchströmte mich. Schließlich hatte ich das samtig, weiche Federkleid der Krähe schon einmal gestreichelt. Gleichzeitig keimte leise ein wenig Ärger über Luca auf. Damit hatte er es geschafft, dass ich zumindest seinem Agenten vertraute. Ich stand auf und vergewisserte mich, dass die Tür geschlossen war. Was hätte ich Onkel Finley sagen sollen, wenn er mich mit der Krähe sehen würde? Langsam lief ich zum Fenster. Ich hatte die richtige Ahnung. Ein kleiner, zusammengefalteter Zettel lag auf dem äußeren Fensterbrett, genau wie beim letzten Mal.
»Hallo, Gavin«, sagte ich sanft, um das Tier nicht zu erschrecken. Er legte seinen Kopf schief und sah mich an, als würde er mich verstehen. Er tapste an das äußerste Ende des Fenstersimses, und sobald ich das Stück Papier in meiner Hand hielt, flog er auch schon wieder davon. Ich sah ihm nach, wie er über unseren Park, über die Grenze flog, die mich von einem reellen Leben trennte. Schnell und leise schloss ich das Fenster, und als ich Schritte auf dem Gang hörte, stopfte ich das Papier schnell in meinen Hosenbund. Da öffnete sich auch schon die Tür und Agnes kam herein. »Ach, hier bist du. Ich hab dich schon gesucht. Kannst du mir sagen, was mit Amy ist? Habt ihr euch etwa wieder gestritten?«
Mein Herz klopfte laut, als ich erkannte, dass Agnes nichts bemerkt hatte und schnell überlegte ich, ob es wohl besser wäre, sie in dem Glauben zu lassen. Ein Streit war zwar etwas übertrieben, doch immerhin war es eine Meinungsverschiedenheit gewesen.
»Du weißt ja, wie sie ist. Manchmal muss man ihr einfach mal die Meinung sagen und damit kommt sie eben nicht klar.« Das war zumindest nicht gelogen.
»Was hat sie nun schon wieder? Ist es wegen dem Training? Oder wegen der Sache mit Alegra?«, fragte Agnes und kam zu mir ans Fenster.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ich denke, alles ist ein wenig viel im Augenblick. Das Training ist hart. Sie strengt sich wirklich an und die Sache mit Alegra ist auch eine harte Nuss für sie, aber da muss sie durch.«
»Da hast du allerdings Recht. Du weißt, ich bin kein Fan von Mrs. Marten, aber da ist Amy zu weit gegangen. Trotzdem … glaube ich, dass etwas hier nicht stimmt«, sagte sie leise vor sich hin. Jetzt klopfte mein Herz schneller. Hatte sie doch etwas bemerkt?
»Wie meinst du das?«, fragte ich. Meine Stimme hörte sich scheinheilig an, und ich war mir sicher, dass ich mich dadurch verraten hatte. Agnes wusste genau, wann ich sie anlog. Ich hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen, ausgeliefert zu sein.
Sie wandte sich von mir ab, lief zum Ohrensessel und setzte sich müde hinein. Sie stöhnte leise auf.
»Meine Beine bringen mich heute um«, erklärte sie und massierte sich ihre rechte Wade. »Ich habe das Gefühl, dass der Haussegen etwas schief hängt. Ich kann es dir nicht richtig erklären, aber seit ein paar Tagen ist hier eine ganz merkwürdige Stimmung. Findest du nicht?« fragte sie und lehnte sich zurück.
»Eine merkwürdige Stimmung?«
»Es ist so viel passiert. Überleg mal, zuerst hattet ihr diesen schrecklichen Unfall, dann die Sache zwischen Alegra und Amy, wobei ich bis heute nicht verstanden habe, warum Amy so wütend auf sie war. Dann will dein Onkel mit euch in einen Kurzurlaub fliegen und räumt zeitgleich sein Arbeitszimmer aus. Du trennst dich von Tom und … das ist einfach zu viel für mich, und das Ganze wird durch die Stimmung im Haus nicht besser.«
»Mach dir keine Sorgen, es kommen bestimmt auch wieder bessere Zeiten. Vielleicht ist Onkel
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