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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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tauchte ein junger Kerl auf. Schwarze Hose, weißes Hemd, schwarze Weste. Verheerende Akne im Gesicht, die umso schlimmer aussah, als er nervös war und ihm das Blut in die Wangen schoss.
    «Doreen hat gesagt, dass Sie nach der Frau gefragt haben, die ums Leben gekommen ist.»
    Vera nickte. Sie wagte nicht zu sprechen, da sie sonst womöglich in Jubel ausgebrochen wäre.
    «Ich meine, dass sie an jenem Morgen hier war. Das habe ich der Polizei aber noch nicht gesagt. Wissen Sie, ich könnte es nicht beschwören.»
    Wieder nickte Vera.
    «Jedenfalls», fuhr er fort, «ist sie ziemlich oft hier gewesen und hat immer das Gleiche getrunken. Einen entkoffeinierten verlängerten Espresso. Den habe ich immer schon gemacht, wenn ich sie kommen sah.» Das Rot auf seinen Wangen vertiefte sich, und Vera dachte, dass er bestimmt in Jenny Lister verliebt gewesen war, dass die ältere Frau in seinen pubertären Träumen aufgetaucht war.
    «Hat sie sich an dem Tag mit irgendwem getroffen?», fragte Vera. «Daran würden Sie sich doch erinnern, oder? Weil sie dann noch was anderes bestellt hätte, außer dem Espresso, und das wäre ungewöhnlich gewesen.»
    «Ja», sagte er. «Daran würde ich mich erinnern. Aber sie hat sich mit niemandem getroffen.» Er hielt inne. Er wollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, fand den Gedanken, sich womöglich zu irren, offenbar unerträglich.
    «Alles, was Sie mir sagen, könnte uns weiterhelfen. Auch, wenn es bloß ein Eindruck ist.»
    «Ich hatte das Gefühl, dass sie auf jemanden wartet.» Die Worte wurden hastig hervorgestoßen. Er musste sie aussprechen, bevor ihn der Mut wieder verließ.
    «Hat sie Ihnen gesagt, dass sie auf jemanden wartet?»
    «Nein. Aber immer, wenn jemand in die Lounge gekommen ist, hat sie hochgeblickt, und sie hat ständig auf die Uhr geschaut.»
    «Um wie viel Uhr war das?», fragte Vera.
    «Noch früh. Vor neun Uhr. Das war auch ungewöhnlich. Normalerweise ist sie immer erst gekommen, nachdem sie schwimmen gewesen ist.»
    «Woher wissen Sie, dass sie vorher nicht schwimmen war?»
    «Ihre Haare sind noch trocken gewesen. Sonst waren sie immer noch etwas feucht, so als hätte sie sich nicht die Mühe gemacht, den Haartrockner zu benutzen. Und sie hat auch nicht nach Chlor gerochen.»
    «Vielen Dank.» Vera schenkte ihm ihr breitestes Lächeln. «Sie sollten darüber nachdenken, zur Polizei zu gehen. Hier verschwenden Sie Ihr Talent.»
     
    Dann streifte sie wieder im Hotel umher. Karen saß nicht am Empfang – natürlich nicht: Sie war zu Hause und trauerte um ihren Sohn. Stattdessen saß dort eine dürre junge Frau, die Vera wiedererkannte und sie ohne ein Wort durch das Drehkreuz ließ. Sie traf Ryan Taylor in seinem Büro an.
    «Sie haben bestimmt schon das von Danny Shaw gehört.»
    «Selbstverständlich.»
    «Was erzählt man sich hier im Hotel so darüber? Bestimmt reden alle davon.» Vera hockte sich auf die Ecke seines Schreibtischs. Als sie auf seinen kugeligen, kleinen Kopf hinunterblickte, sah sie, dass sein Haar sich am Scheitel lichtete.
    «Sie haben Angst», sagte Taylor. «Der Tod von Mrs Lister, das war irgendwie aufregend. Keiner hat sie so richtig gekannt. Das war eher, wie wenn man sich einen Horrorfilm im Fernsehen anschaut. Ich meine, man genießt das gruselige Gefühl, weiß aber, dass es nicht echt ist.»
    «Aber Dannys Tod ist echt.»
    «Ja, wir haben ihn zwar nicht unbedingt gemocht, aber gekannt haben wir ihn doch. Ich nehme an, meine Leute fragen sich, wer wohl der Nächste sein wird. Im Grunde unserer Herzen sind wir doch alle selbstsüchtige Schweine, oder?»
    «Ist sonst noch was Ungewöhnliches passiert?» Sein Benehmen machte sie irgendwie argwöhnisch. Es war wie bei dem jungen Kellner. Taylor wog ab, ob er ihr etwas erzählen sollte oder nicht.
    «Lisa ist heute Morgen nicht gekommen. Sie hätte um acht da sein sollen. Sie hat angerufen und gesagt, dass sie krank ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal krank war. Wahrscheinlich nur ein Zufall.»
    «Sicher», sagte Vera. «Ganz bestimmt.» Aber das setzte sie wieder in Bewegung. Zurück zu ihrem Wagen, in der Hand einen Fetzen Papier mit Lisas Adresse. Wieder die Fahrt gen Osten in die Stadt.
     
    Lisa wohnte mit ihrer Mutter in einem kleinen backsteinernen Haus in einer Gemeindesiedlung im Westend der Stadt. Vom Ende der Straße aus konnte man hinter einem Gewerbegebiet den Tyne sehen. Vielleicht wohnte auch der Vater der Form halber noch da und war nur

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