Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
gerade im Gefängnis, vielleicht war er aber auch ausgezogen. Auf jeden Fall deutete nichts auf seine Anwesenheit hin. Die Hälfte der Häuser in der Straße standen leer, waren mit Brettern zugenagelt und sahen aus, als hätten Kinder darin gezündelt. In einigen Gärten türmte sich der Müll. Doch Lisas Haus war makellos. Das Gras auf dem kleinen Rasenfleck war gemäht, und den Weg zur Eingangstür säumten Blumentöpfe mit Primeln. Drinnen roch es so stark nach Möbelpolitur und Desinfektionsmitteln, dass es Vera, kaum dass ihr die Tür geöffnet wurde, beinahe umgeworfen hätte.
    Vor ihr stand eine Frau, die Lisas feine Gesichtszüge besaß und einmal blond gewesen sein mochte. Jetzt kam die Farbe aus einem Fläschchen, und sie war nicht richtig aufgetragen worden. Das Ergebnis war fleckig und ungleichmäßig, halb Kastanie und halb Messing. Aber wer war Vera, dass sie daran herumkritteln durfte?
    «Ist Lisa zu Hause, Herzchen?»
    Die Frau war klein, doch sie wich nicht von der Stelle, wie ein Kampfhund. Eine Polizistin konnte sie auf hundert Yards Entfernung riechen.
    «Sie ist bei der Arbeit.»
    «Nein, ist sie nicht.» Vera ließ die Müdigkeit in ihrer Stimme durchklingen. Die aufputschende Wirkung des Koffeins war verflogen. «Da komme ich gerade her. Erzählen Sie mir kein dummes Zeug, ich bin nicht in Stimmung für so was. Sagen Sie ihr, Vera Stanhope ist hier, und lassen Sie mich bitte herein, damit ich meine Füße von dem Gewicht befreien kann.»
    Vielleicht war es der letzte Satz, der das Wunder bewirkte. Lisas Mutter erkannte die Erschöpfung einer arbeitenden Frau, trat beiseite und führte Vera in das blitzblanke Wohnzimmer, das untertags nie benutzt wurde, es sei denn, es gab Besuch. Gleichzeitig hörte man Schritte auf der Treppe, und da war Lisa. Sie hatte alles mit angehört. Sie sah blass und dünn aus.
    «Ich war’s nicht», sagte sie. Die Worte waren schon heraus, bevor sie das Fußende der Treppe erreicht hatte, sie drangen durch die geöffnete Tür ins Wohnzimmer. «Ich habe Danny Shaw nicht umgebracht.»
    «Aber Herzchen, ich habe nicht eine Sekunde lang geglaubt, dass Sie das waren.»
    «Ich hab’s in den Nachrichten gesehen und gedacht, dass jetzt alle glauben, ich war’s. Dass alle wollen, dass ich es war.»
    Da wurde Vera klar, dass sie umsonst hergekommen war. Lisa hatte sich krankgemeldet, weil sie die Anschuldigungen ihrer Kollegen nicht ertragen konnte. «Wissen Sie was», sagte sie, «ich werde den Mörder verhaften, dann haben die was anderes, worüber sie tratschen können.»
    «Werden Sie das tun? Dann wissen Sie also, wer es war?»
    Lieber Himmel, dachte Vera, was sage ich jetzt bloß? «In ein paar Tagen ist alles vorbei.» Sie wuchtete sich wieder auf die Füße. Lisas Mutter sagte etwas von Tee, aber Vera hatte jetzt ein Versprechen gegeben, das sie einhalten musste, und nun drängte die Zeit. Auf der Türschwelle blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu Lisa um.
    «Es war Danny Shaw, der geklaut hat, oder?»
    Lisa nickte. «Ich habe ihn einmal im Pausenraum gesehen. Er hat nicht gemerkt, dass ich da war.»
    «Warum haben Sie das niemandem gesagt?»
    Sie zuckte nur die Achseln, aber Vera wusste ohnehin, warum. Man hatte Lisa beigebracht, niemanden zu verpfeifen, und überhaupt, wer hätte ihr denn geglaubt?
    Als sie in den Wagen stieg, klingelte ihr Handy. Es war Joe Ashworth, der ihr sagen wollte, dass Connie immer noch nicht wieder zu Hause sei und er sich langsam Sorgen mache.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel Dreißig
    Joe Ashworth verbrachte den Großteil des Tages damit, nach Connie und Alice zu suchen. Zuerst fuhr er in die Stadt und stöberte Frank, Connies Exmann, bei dessen Arbeit im Theater nahe des Hafens auf. Bevor die Kinder auf der Welt waren, hatte Sarah Joe dort ein paar Mal in ein Stück geschleift, und für gewöhnlich hatte er das ganz gegen seinen Willen genossen. Trotz der vielen Möchtegern-Bohemiens, die vor der Aufführung an der Bar herumhingen und sich aufplusterten.
    Frank saß mit ein paar anderen Leuten draußen und rauchte. Er war schlank und dunkelhaarig, sah auf jene verwegene Art gut aus, auf die Sarah so stand. Als Joe ihn um ein kurzes Gespräch unter vier Augen bat, drückte er seine Zigarette aus und ging mit Joe ins Theater hinein. Sie setzten sich hinten in den Zuschauerraum. Auf der Bühne wurden gerade die Kulissen für ein Stück aufgebaut, dann und wann kam jemand und verrückte ein Möbelstück, doch von den beiden

Weitere Kostenlose Bücher