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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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videoüberwacht, und es gibt sicher jede Menge Zeugen.» Nur dass das Band der Videoüberwachung am Abend vor dem Mord vollgewesen war und niemand sich die Mühe gemacht hatte, es auszuwechseln. «Es wäre viel besser, wenn Sie uns das alles selber sagen würden.»
    Freya sah aus wie ein in die Enge getriebenes Tier. Vera dachte an die Fallen, die die Wildhüter in den Bergen aufstellten. Ein Käfig aus Drahtgeflecht, in dem eine Krähe saß, um andere Raubvögel anzulocken. War es richtig, dass sie Freya dafür benutzten, Morgan zu überführen?
    «Wir haben ausgemacht, dass wir uns am Auto treffen», sagte Freya. «Aber da war er nicht, als ich vom Kurs gekommen bin.»
    «Um wie viel Uhr war das?»
    «Der Kurs war um zehn Uhr aus.»
    «Und was haben Sie dann gemacht?», fragte Holly. «Haben Sie ihn gesucht? Das wäre doch eine gute Gelegenheit gewesen, mal wieder bei Ihren alten Arbeitskolleginnen vorbeizuschauen. Auf einen schnellen Kaffee oder ein kleines Schwätzchen.»
    «Mit diesen Leuten habe ich nicht mehr viel gemein.» Das war Morgan, dachte Vera, der da durch Freyas Mund sprach.
    «Wo sind Sie dann also hingegangen? Zu Michaels Büro? Vielleicht hat er sich ja in seinen Papierkram vergraben und nicht auf die Uhr geschaut.» Diesmal war es Holly, die dem Mädchen die Worte in den Mund legte.
    Arme Kleine, dachte Vera. Sie ist bloß eine Bauchrednerpuppe.
    «Ich habe ihn auf dem Handy angerufen», sagte Freya. «Ich weiß, dass er nicht will, dass ich im Hotel rumlaufe. Er sagt, ein paar von den Mädchen da sind ein schlechter Umgang. Also habe ich ihn angerufen.»
    «Und?» Inzwischen schien Holly nahe daran zu sein, das Mädchen zu schütteln. Sie muss geduldiger werden, dachte Vera. Sie selbst machte sich mehr Sorgen über das, was Freya geantwortet hatte. Welches Recht besaß dieser Mann, ihre Freunde für sie auszusuchen?
    «Und nichts. Er ist nicht drangegangen. Ich habe gewartet. Kurz darauf ist er dann aufgetaucht und hat mich nach Hause gefahren. An dem Tag hatte ich keine Kurse am College. Es waren noch Osterferien.» Sie klang eingeschnappt, wie ein verzogenes Kind. Auf der Rückfahrt an die Küste hatten sie sich wahrscheinlich gestritten, dachte Vera.
    «Hat er gesagt, wieso er zu spät gekommen ist?», fragte Holly.
    «Er hat gesagt, das geht mich nichts an. Irgendwas mit seiner Arbeit. Ich habe gedacht, vielleicht hat Mattie Jones ihn wieder belästigt. Sie hat angefangen, ihn vom Gefängnis aus anzurufen, und das hat ihn wahnsinnig gemacht.»
    Nein, dachte Vera. Nicht Mattie. Die war im Krankenhaus und hat den Blinddarm rausbekommen. Jenny vielleicht? Hat sie ihn gesehen, wie er einen teuren Kaffee in der Lounge getrunken und auf Freya gewartet hat? Hat sie ihn um ein Interview zum Elias-Jones-Fall gebeten, für ihr Buch, und ihm gesagt, dass sie es so oder so schreiben würde? Hat er von der Besuchergalerie aus beobachtet, wie sie ins Dampfbad geht, sich schnell die Badehose angezogen und sie umgebracht?
    Sie war so in ihre Spekulationen versunken, dass sie erst gar nicht merkte, dass Freya und Holly sie anstarrten. Sie sah sich selbst durch die Augen der beiden: alt, hässlich, schwerfällig. Sie konnte ihr Mitleid spüren. Und dann fühlte sie, wie das Selbstvertrauen sprudelnd in ihr aufstieg. Vielleicht bin ich ja nicht jung und hübsch, aber ich habe Köpfchen, dachte sie. Und zwar mehr Köpfchen als ihr zwei zusammen. Ein paar Tage noch, dann haben wir den Fall hier aufgeklärt.
     
    Am frühen Nachmittag traf sie wieder im Willows ein, angetrieben von Koffein und Zucker und ihrem Stolz. Zunächst setzte sie sich in die Lounge, trank noch mehr Kaffee und beobachtete die Gäste. Hier standen tiefe, chintzbezogene Armsessel. Es war ein Leichtes, sich darin vor den anderen Gästen zu verbergen und ein vertrauliches Gespräch zu führen. Die Kellner kamen, um die Bestellung aufzunehmen. Man musste nicht aufstehen und sich an der Bar anstellen. Hier ging es so anonym zu, wie man es sich nur vorstellen konnte.
    Ihre Bedienung war schon etwas älter, die Karikatur eines längst vergangenen Zeitalters, bucklig und beinahe taub. Vera musste sie anbrüllen.
    «Sie haben doch bestimmt Fotos von Jenny Lister gesehen, der Frau, die letzte Woche hier umgebracht worden ist. Ist sie jemals auf einen Kaffee hier in die Lounge gekommen?»
    Die Kellnerin schüttelte den Kopf und schlurfte davon, und Vera war sich nicht einmal sicher, ob sie sie überhaupt richtig verstanden hatte. Doch etwas später

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