Seelentod
verhaften. Aber als er sie jetzt über ihrem Kaffee hocken sah, einen Teller mit Shortbread auf der Armlehne ihres Sessels, sah sie angespannt aus, fast schon unentschlossen. Wie ein Spieler, der nicht weiß, auf welches Pferd er setzen soll. Im Kamin brannte ein Feuer, doch es spendete mehr Rauch als Wärme, und im Raum war es kalt. Veras Handy lag vor ihr auf dem Tisch. Sie starrte es an.
«Verdammtes Sozialamt», sagte sie. «Ich habe mich mit Craig rumgeschlagen, dem Big Boss. Man sollte doch meinen, er könnte uns sagen, wo Mattie Jones geboren wurde. Anscheinend ist es der pure Horror, noch Informationen von damals aufzutreiben. Da ist noch nichts im Computer erfasst worden. Er hat gesagt, er ruft mich an, sobald er was weiß.»
«Was ist denn eigentlich los?»
«Wenn ich das wüsste, Herzchen, würde ich wie ein Ritter in meinem getreuen Land Rover losziehen und die liebreizende Prinzessin befreien.»
«Sprechen Sie von Connie?» Ashworth konnte es nicht leiden, wenn Vera solchen Quatsch redete. Auf die Art behielt sie für sich, was sie dachte – als ob sie ihm nicht genug vertraute.
«Nun ja, auch.» Sie blickte zu ihm hoch. «Hat Mattie sonst wirklich nichts darüber gesagt, wo sie aufgewachsen ist? Abgesehen davon, dass es auf dem Land war und dass es da ein Gewässer gab? Deswegen habe ich Sie zwar nicht zu ihr geschickt, aber es ist trotzdem wichtig, finden Sie nicht? Es hat mich zum Nachdenken gebracht …» Und sie verfiel in Schweigen. Sie erinnerte Joe an eine alte Frau im Pflegeheim, die wirres Zeug vor sich hin brabbelte und mitten im Satz den Faden verlor. Wenn Vera tatsächlich einmal so enden sollte, schoss es ihm durch den Kopf, wäre er wohl der Einzige, der zu Besuch käme.
Wieder schaute sie hoch zu ihm, und er sah, dass sie alles andere als senil war und schlicht auf eine Antwort wartete.
«Nein», sagte er. «Ich hätte vielleicht noch mehr erfahren können, aber im Gefängnistrakt ist eine Frau ausgeflippt, und Mattie konnte sich nicht mehr konzentrieren.» Er schwieg kurz und fügte dann spitz hinzu: «Es wäre hilfreich gewesen, wenn ich gewusst hätte, was genau Sie wissen wollen.»
«Nein», sagte Vera, «das wäre ganz und gar nicht hilfreich gewesen.»
«Was wollen wir jetzt also tun?» Langsam verlor er die Geduld. Wenn er wenigstens Connie und ihre Kleine in Sicherheit wüsste. Er hatte den Eindruck, dass es ihre Leben waren, um die Vera da spielte.
Sie antwortete nicht gleich, und wieder war da diese untypische Entschlusslosigkeit zu spüren.
«Dieses Haus am Wasser, von dem Mattie gesprochen hat …», sagte er. Der Gedanke war ihm ganz plötzlich gekommen, während er nach draußen in den sumpfigen Park schaute. Er wusste nicht warum, aber sein Gespür sagte ihm, dass der Mörder etwas mit Barnard Bridge zu tun haben müsse. «Könnte das nicht das Cottage von Connie Masters sein? Wir wissen, dass es heute ein Ferienhaus ist, aber früher muss da doch mal jemand gewohnt haben. Eine Familie? Matties Mutter?»
«Es bringt nichts rumzuraten, oder?», sagte sie und tat seine Idee ab, ohne auch nur darüber nachzudenken. «Das könnte überall sein. Ich muss noch ein paar Anrufe machen.»
Es kam ihm vor, als hätte sie ihre Entscheidung nun getroffen. Die Würfel waren gefallen. Er wartete darauf, dass sie weiterredete, doch sie lehnte sich nur mit halbgeschlossenen Augen tief in den Sessel zurück. «Was soll ich also tun?», fragte er nach einer Weile. Am liebsten hätte er sie geschüttelt. Er wollte, dass sie sich energisch gab, dass sie es auf ihre unbeugsame Art mit der ganzen Welt aufnahm. Es war schrecklich, sie so verzagt zu sehen.
«Fahren Sie nach Barnard Bridge», sagte sie, «und behalten Sie Hannah Lister im Auge.»
«Denken Sie denn, sie könnte in Gefahr sein?»
Vera gab keine direkte Antwort. Er war sich nicht einmal sicher, ob sie die Frage überhaupt gehört hatte. «Jenny Lister und Danny Shaw», sagte sie. «Irgendwer verwischt hier seine Spuren.» Sie blickte zu ihm hoch und ließ ihr altes, schalkhaftes Grinsen wieder sehen. «Oder
ihre
Spuren. Ich dachte, ich wüsste, was da vor sich gegangen ist. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.»
Barnard Bridge sah aus, als würde es unter Belagerung stehen. Neben allen Hauseingängen auf der Hauptstraße waren Sandsäcke aufgestapelt. Das kleine Rinnsal neben Connies Cottage war jetzt über einen Fuß tief, und der Tyne war braun und wild, er brodelte unter der Brücke und war mit
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