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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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grasüberwachsene Pfad, der durch die Anlagen des alten Herrenhauses führte, war jetzt viel sumpfiger als noch vor wenigen Tagen, als sie zu Fuß dort entlanggegangen war. Selbst mit dem Allradantrieb merkte sie, wie der Wagen schlingerte. Sie fuhr ganz langsam, Hauptsache, sie blieben nicht stecken. Erst wollte sie Mutter und Tochter in Sicherheit bringen, und dann musste sie jemanden verhaften, bevor noch ein weiterer Mensch zu Schaden kam.
    Sie wusste, dass Ashworth jede Menge Fragen hatte, aber sie konnte sich nicht darauf konzentrieren, sie heil zum Bootshaus zu bringen, und sich gleichzeitig mit ihm unterhalten. In dieser Hinsicht war sie wie ein Mann. Sie widmete ihre Aufmerksamkeit besser nur einer einzigen Sache.
    «Was ist denn das?» Ashworths Frage regte sie auf, denn sie versuchte gerade, den Wagen durch eine vertrackte Stelle zu steuern, trotzdem schaute sie auf. Da steckte ein kleines Auto im Schlamm, das Wasser reichte bis zur Stoßstange, die Fahrertür stand weit offen. Ashworth legte die wohlfeile Entrüstung des umsichtigen Fahrers an den Tag, mal wieder wirkte er so viel älter, als er war. «Die müssen ja verrückt sein, hier ohne Allradantrieb reinzufahren.»
    Da wusste Vera, dass das kleine Mädchen in Gefahr schwebte. Ihm drohten keine bösen Träume und verpfuschten Kindheitserinnerungen. Es war in Gefahr, gar nicht erst alt genug zu werden, um überhaupt Erinnerungen aufzubauen.
    «Los, raus!», rief sie. «Schnell! Wir haben keine Zeit mehr.» Sie hatte Gummistiefel an, aber Ashworth trug immer noch seine Büroschuhe, die er jeden Morgen wienerte. Er schaute auf den Schlamm und Matsch rings um den Wagen und zögerte. Sie war schon ein paar Schritte den Pfad hinuntergelaufen, und bei jedem Schritt rutschte und fluchte sie. Nun warf sie ihm, der immer noch im Land Rover saß, einen wütenden Blick zu. «Wollen Sie, dass noch ein Kind ertrinkt? Steigen Sie aus, Mann. Das ist ein Befehl!» Noch während sie sprach, wusste sie, dass sie ungerecht war. Hätte sie ihre Sorgen mit ihm geteilt, wäre er noch vor ihr beim Bootshaus gewesen.
    Sie liefen an dem Garten mit den seltsamen Statuen und der efeubewachsenen Mauer vorbei, und als sie an den Rand des kleinen Sees kamen, dachte sie, sie wären zu spät. Sie sah das Boot, den Mann darin, der sich über die Ruder beugte und so entschlossen seinen Weg übers Wasser zog, dass er sie gar nicht bemerkte. Und sie sah die Mutter mit ihrem Kind auf der Veranda, die beobachteten, wie er näher kam.
    «Ihnen passiert nichts», sagte Joe. Er war sauer und hatte auch allen Grund dazu. «Er wird sie retten.» Womit er andeuten wollte, dass die ganze Aufregung unnötig war und er seine Schuhe völlig grundlos ruiniert hatte.
    «Nein, Herzchen, das ist das Letzte, was er vorhat. Er hasst glückliche Familien.»
    Vera stand da und sah zu. Sie war vollkommen machtlos. Das Bootshaus lag zu weit weg, sie konnte Connie nicht mehr warnen. Davon ganz abgesehen, was konnte Connie schon tun, selbst wenn sie Vera hörte? Sie war da drüben gefangen. Und den Kerl im Boot, dachte Vera, kann jetzt nichts mehr schrecken. Mit dem zweiten Mord hatte er jegliche Vernunft über Bord geworfen.
    Es war wie in einem Albtraum, wo man schreit, und keiner kommt, und man versucht wegzurennen, aber die Füße rühren sich nicht von der Stelle.
    «
Er
war das?», fragte Ashworth. «Die ganze Zeit? Aber natürlich. Ich hätte das Auto wiedererkennen müssen!»
    Vera gab keine Antwort. Sie beobachteten, wie der Mann auf die Veranda des Bootshauses kletterte. Connie und die Kleine konnten sie nicht sehen, die waren wieder im Haus. Ashworth ließ Vera stehen und schlich durchs Dickicht, er folgte dem Ufer bis zu der Stelle, wo das Bootshaus dem Land am nächsten war. Jetzt verschwendete er keinen Gedanken mehr an seine Schuhe oder den Anzug von
Marks & Spencer
.
    Ich muss ihn um Verzeihung bitten. Er wird bestimmt nie wieder mit mir zusammenarbeiten wollen.
    Man hörte über die Entfernung hinweg einen schrillen Schrei. Auf der Veranda tauchte der Mann auf, er hielt Alice in den Armen. Connie lief ihm hinterher. Sie war es, die schrie. Vera hatte den Eindruck, dass die Kleine ganz still war, vielleicht vor Angst erstarrt. So erstarrt, wie Vera es gewesen war. Aber der Schrei hatte sie aufgeweckt. Plötzlich merkte sie, dass sie telefonierte und Verstärkung anforderte, einen Krankenwagen, ein Schlauchboot und einen Hubschrauber. Jetzt schrie sie selbst in ihr Handy: «Na los! Schafft alle

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