Seelentod
dankten, dass sie ihrer Mummy und ihrem Daddy geholfen hatte. Das war natürlich alles Schwachsinn, aber sie hatte schon immer Lob gebraucht, um sich zu motivieren. Und was das Loben anging, darin war Jenny verdammt gut gewesen, zumindest am Anfang.
Einmal im Monat gab es eine Besprechung in Jennys Büro. Mit Bohnenkaffee und leckeren Keksen – manchmal sogar selbst gebacken. Jenny war eine von den Superfrauen, die am Wochenende buken und ins Theater gingen und anspruchsvolle Bücher lasen. Die Art Frau, zu der auch Franks neue Geliebte einmal werden könnte. Connie besprach dann ihre Fälle mit ihr. Sie arbeiteten beide in der Kinderfürsorge, dem aufregendsten und dramatischsten Gebiet der Sozialarbeit. Mit inkontinenten alten Damen und schlecht riechenden Männern mit Bewusstseinsspaltung hatten sie nichts zu tun.
Jenny war für Pflegekinder und Adoptionen zuständig, sie beurteilte in Frage kommende Adoptiveltern und schulte sie. Connies Arbeit bestand hauptsächlich darin, das Wohl jener Kinder zu überwachen, die als «gefährdet» eingestuft wurden. Natürlich landeten ein paar von ihnen am Ende in Pflegefamilien oder wurden adoptiert, aber während Jenny bei ihren Hausbesuchen in begrünten Vorstädten mit netten Pflegeeltern aus der Mittelschicht plauderte, führten Connies Besuche sie in die am schlimmsten verwahrlosten Siedlungen im Nordosten. Dort war alles voller Hundescheiße und Graffiti und nirgends ein Junge mit zerzaustem Haar oder ein Mädchen mit traurigen Augen. Manchmal dachte sie, dass Jenny überhaupt keine Ahnung hatte, wie das so war.
Bei den ersten Besprechungen sagte Jenny noch genau das Richtige: «Klingt, als hätten Sie eine wirklich gute Beziehung zu dieser Mutter aufgebaut. Mit ihr zur Krabbelgruppe zu gehen war eine großartige Idee.» Oder: «Es war vollkommen richtig, auf einem Gespräch mit der Lehrerin zu bestehen.» So kam Connie jedes Mal vollgepumpt mit Koffein und Lob aus dem Büro. Aber mit der Zeit bekam sie immer mehr Fälle, die Besuche bei den Familien wurden zur Routine, und manchmal brachte sie ihre Schützlinge durcheinander. War Leanne jetzt die mit den Läusen oder war das die Wohnung, wo der Rottweiler in der Küche an der Kette lag? Jenny runzelte immer öfter die Stirn, und Connie geriet in die Defensive. Sie achtete stets darauf, dass ihre Notizen einwandfrei waren – schließlich hatte sie mal bei einer Zeitung gearbeitet und wusste, wie man eine gute Story schrieb –, doch manchmal, wenn sie vor einer Wohnung stand, in die eine minderjährige Mutter mit ihrem aggressiven Kerl eingezogen war, der sie immer so komisch anstarrte, wurde ihr ganz flau vor Erleichterung, wenn auf ihr Klopfen hin niemand aufmachte. Und auch wenn sie dachte, sie hätte hinter dem Schlafzimmerfenster ganz kurz das Gesicht einer Frau gesehen, kritzelte sie
Keiner da
in ihren Kalender und machte sich auf den Weg zum nächsten Termin. Dafür, sich anpöbeln zu lassen, wurde sie einfach nicht gut genug bezahlt. In dieser Gegend gingen selbst die Cops nur zu zweit auf Streife.
Als sie entdeckte, dass sie mit Alice schwanger war, fiel ihr ein Stein vom Herzen. War sie etwa nur deshalb schwanger geworden, um nicht länger arbeiten zu müssen? Frank war nicht so erfreut, als er die Neuigkeit erfuhr. Sie hatte für ihn gekocht, Kerzen angezündet und Blumen gekauft, und er sagte bloß: «Nicht gerade ein tolles Timing, Baby.» Er hatte kürzlich erst den Posten als künstlerischer Leiter am Theater bekommen und verdiente nach seiner Kündigung als Dozent am Newcastle College nun weniger. Vielleicht vögelte er da ja auch schon seine Neue. Vielleicht sah er deshalb so betroffen drein.
Sie hatte ihn bei seiner Entscheidung unterstützt, am College zu kündigen, auch wenn das bedeutete, dass sie ihren Job als Sozialarbeiterin nicht aufgeben konnte, obwohl ihr schon morgens beim Aufwachen übel wurde bei dem Gedanken daran, zur Arbeit zu gehen, die Betonstufen zu den kahlen, verdreckten Wohnungen hochzusteigen und sich mit den beklagenswerten Müttern und den grobschlächtigen Vätern herumzuschlagen. Sie verstand, wie es für ihn sein musste, eine Arbeit zu haben, die er verabscheute. Aber ihr fehlte der Mut zu schreien: «Und was ist mit mir? Wie komme ich da raus?» Ahnte sie, dass sie kurz davor war, ihn zu verlieren, dass sie ihn, wenn sie noch etwas von ihm verlangte, in die Arme dieser knochigen Designerin treiben würde, von deren Arbeit er so schwärmte? Aber wenigstens
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