Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
Leben anstellen würde.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel Neun
    Seit dem Tag, an dem Elias ums Leben gekommen war, hatte Connie keine Nachrichten mehr gesehen. Sie fürchtete immer, auf Bilder von sich selbst zu stoßen: wie sie blass und stammelnd auf jener ersten Pressekonferenz gesessen hatte oder wie sie am Ende des Verfahrens im Regen die Treppen des Gerichts hinuntergelaufen war. Selbst da hatte sie schon gewusst, dass es nicht vorbei war. Jetzt sah sie sich am liebsten seichte, einlullende Sachen an, Dokusoaps über Promis, Hausverkäufe oder Leute, die auswanderten. Wenn Alice im Bett lag und schlief, goss sie sich ein Glas Wein ein, aß irgendwas, das nicht viel Aufwand machte, und tauchte in die Belanglosigkeiten auf dem Bildschirm ein. Sie hatte wieder einen Tag überlebt. Alice hatte wieder einen Tag überlebt. Das allein war es doch wert, gefeiert zu werden. Die Langeweile war dafür ein geringer Preis.
    Es war schon fast zehn, als ihr Exmann anrief. In diesen Tagen riefen sie so wenig Leute an, dass das Klingeln ein Schock war. Sie merkte, dass sie zitterte.
    «Ja?» Sie hatte auch Drohanrufe bekommen, doch die waren mit der Zeit verebbt. Aber vielleicht hatte der Artikel zum Gedenken an Elias’ Tod alles wieder aufgewühlt.
    «Ich bin’s.» Dann, als sie nicht antwortete: «Frank.» Ein scharfes Bellen, als wäre sie taub oder sehr alt.
    «Ja», sagte sie. «Ich weiß. Was gibt es?» Sie nahm an, dass er anrief, weil er in den Ferien mit Alice wegfahren wollte. Er hatte davon gesprochen, im Juni in Frankreich zelten zu gehen. Natürlich hatte sie eingewilligt, etwas so Tolles konnte sie ihrer Tochter nicht vorenthalten, aber seitdem nagte es an ihr. Ein überaus kindischer Neid. Warum kann ich nicht mitkommen?
    «Ich habe mich gefragt, ob du es schon gehört hast. Das mit Jenny Lister.»
    «Was ist mit ihr?» Sie hatte Jenny nie besonders gemocht. Nach außen hin sehr freundlich. Hilfsbereit. Doch hinter der Fassade eher unbarmherzig. Konnte hart wie Stein sein. Neigte zur Prinzipienreiterei.
    «Sie ist tot. Ermordet.»
    Im ersten Moment dachte Connie – und das war absolut grauenvoll natürlich –, dass es der selbstgefälligen Jenny Lister verdammt noch mal recht geschehen war. Im zweiten Moment, dass es für sie jetzt noch schwerer werden könnte. Was, wenn die ganze Geschichte mit Elias wieder hochkam? Erst dann fühlte sie sich einen Moment lang schuldig, weil sie tief im Innern wusste, dass Jenny sie genauso behandelt hatte, wie jeder andere Vorgesetzte es auch getan hätte, und dass, wäre jemand anders mit dem Fall befasst gewesen, es doch nichts verändert hätte.
    Frank sprach noch. «Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe. Ich dachte nur, du willst es bestimmt wissen.»
    «Ja», sagte sie. «Danke. Ich hatte noch nichts davon gehört.» Sie legte auf. Im Hintergrund lief immer noch das Gequassel aus dem Fernseher, den sie nun ausmachte. Sie hörte nur noch die Geräusche von draußen: den Bach, der am anderen Ende des Gartens über Kieselsteine plätscherte, die Blätter des Apfelbaums, die gegen das Fenster im ersten Stock rauschten. Und die Stimmen in ihrem Kopf.
    Sie fröstelte. Jetzt konnte sie die Feuchtigkeit in Mallow Cottage riechen und stellte sich vor, wie sie durch den Steinfußboden sickerte und die mit Kalk getünchten Wände herablief, bis sie grün und moosig waren wie die Steine im Bach. Sie ging nach oben, zog die Decke von ihrem Bett und nahm sie mit hinunter ins Wohnzimmer, dann goss sie sich noch ein Glas Wein ein, eins mehr, als sie sich sonst erlaubte. Eingekuschelt auf dem kleinen Sofa, die Decke fest um sich gestopft, ging sie ihre Erinnerungen an Jenny und Elias noch einmal durch und trauerte um die beiden, so gut sie konnte. Allzu gut gelang ihr das nicht, aber immerhin versuchte sie es das allererste Mal. Als es hell wurde, saß sie immer noch da, und die Weinflasche war leer.
    Jenny Lister hatte sie eingestellt. Connie war mit Ende zwanzig zur Sozialarbeit gekommen, nachdem sie, Ironie des Schicksals, eine Weile bei einer kleinen Zeitung gearbeitet hatte. Was hatte sie dazu bewegt? Die üblichen Ideale, nahm sie an. Die romantische Vorstellung, dass sie im Leben der Menschen etwas verändern könnte. Während der Ausbildung hatte sie die ganze Zeit das Bild einer Familie im Kopf gehabt, die durch ihre Hilfe zusammengehalten wurde: ein Junge mit zerzaustem Haar und ein Mädchen mit großen, traurigen Augen, die ihr auf den Schoß kletterten und dafür

Weitere Kostenlose Bücher